In dieser Folge unserer Artikelserie wird einmal mehr deutlich, dass die gleichberechtigte Teilhabe an allen Bereichen des Lebens für Menschen mit Behinderungen nicht selbstverständlich ist. Auch Richterinnen und Richter wissen offensichtlich nicht, dass Gleichstellung für Menschen mit Behinderungen bedeutet, dieselben Rechte zu haben wie alle andern.
Instanzen in Österreich ausgeschöpft
Im Fall von Herrn F. haben sowohl das Bezirksgericht als auch das Landesgericht Linz seine Klage wegen Diskriminierung abgewiesen. Herr F. hat sich nun dafür entschieden, vom Individualbeschwerdeverfahren Gebrauch zu machen und eine Beschwerde bei der UNO einzubringen. Diese Möglichkeit ist im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention vorgesehen, wenn auf nationaler Ebene alle Instanzen ausgeschöpft sind.
Klage, weil neue Haltestellen keine Sprachausgabe haben
Doch alles von Anfang an: Herr F. lebt in Linz und benützt regelmäßig die Straßenbahn. Seit 2004 werden Haltestellen vom Betreiber mit akustischer Sprachausgabe ausgestattet. Herr F. ist blind und hat immer einen kleinen Handsender bei sich, mit dem er sich die Fahrgastinformationen, die auf den Anzeigetafeln stehen, vorlesen lassen kann. Nur bei der neuen Teilstrecke der Straßenbahnlinie 3 ist sein Handsender nutzlos: Diese wurden beim Bau nicht mit der akustischen Sprachausgabe ausgestattet.
Herr F. fühlt sich dadurch diskriminiert und führt eine Schlichtung mit dem Betreiber der Linzer Straßenbahn durch, die aber scheitert. In der Folge klagt Herr F. mit Unterstützung des Klagsverbands auf Schadenersatz – ein Anspruch auf Beseitigung der Barriere ist im Behindertengleichstellungsgesetz nicht vorgesehen.
Gericht sieht keine Diskriminierung
Das Bezirksgericht Linz in erster Instanz und das Landesgericht Linz in zweiter Instanz weisen die Klage jedoch ab. Sie sehen keine Diskriminierung von Herrn F., die Fahrgastinformationen könne er sich vor Antritt der Fahrt aus dem Internet holen, heißt es im Urteil.
Damit sind für Herrn F. in Österreich alle Instanzen ausgeschöpft. Aber die Behindertenrechtskonvention bietet eine Möglichkeit, bei der UNO Beschwerde einzubringen, wenn eine Klage von allen nationalstaatlichen Instanzen abgelehnt wurde: Im Rahmen des Individualbeschwerdeverfahrens muss das UN-Komitee zur Überwachung der Behindertenrechtskonvention überprüfen, ob sich die einzelnen Staaten an die Konvention halten.
Jetzt muss UN-Komitee überprüfen, ob UN-Behindertenrechtskonvention eingehalten wurde
Der Klagsverband hat Herrn F. deshalb im Mai dabei unterstützt, eine Beschwerde beim UN-Komitee einzubringen. Nun sind die Komitee-Mitglieder in Genf aufgerufen zu überprüfen, ob Österreich die Behindertenrechtskonvention erfüllt. „Es ist dies die erste Beschwerde zur UN-Behindertenrechtskonvention aus Österreich“, erklärt dazu Volker Frey vom Klagsverband.
Für ihn wurden mit den ablehnenden Entscheidungen der beiden Gerichte gleich mehrere Artikel der Konvention verletzt: „Herr F. ist gegenüber sehenden Menschen diskriminiert, weil er einer konventionswidrigen Barriere ausgesetzt ist“, erklärt Frey. Diese Barriere hindere ihn an einer selbstbestimmten Lebensführung und verletze seine Rechte auf persönliche Mobilität, erläutert der Jurist weiter.
Frage der Unzumutbarkeit
Detail am Rande: Für den Bau der neuen Straßenbahn-Teilstrecke in Linz wurden 10 Mio. Euro weniger ausgegeben, als im Budget veranschlagt. Da ist es nur verwunderlich, dass die Ausstattung der Haltestellen mit Sprachausgabe, die rund 27.000 Euro gekostet hätte, von den Gerichten als unzumutbar betrachtet wurde. Die Mittel dafür wären von der öffentlichen Hand gekommen, die auch Herr F. mit seinen Steuern mitfinanziert.
UN-Komitee kann Empfehlung aussprechen
Wenn das Komitee in Genf ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass in diesem Fall mehrere Artikel der Behindertenrechtskonvention verletzt wurden, wird es eine Empfehlung an Österreich aussprechen, sich in Zukunft an die Konvention zu halten. Sanktionsmöglichkeiten sind leider keine vorgesehen. Herr F. wird dann von der höchstmöglichen Instanz eine Bestätigung haben, dass seine Rechte verletzt wurden. Aber wenn er an der Haltestelle steht, und die Straßenbahn kommt wegen eines Unfalls erst in 30 Minuten, wird er es nicht erfahren.
Lesen Sie hier Teil 3 unserer Artikelserie zum Thema Übergangsbestimmungen.
Die Serie wird im August fortgesetzt mit Artikeln zum Angehörigenschutz und zum Denkmalschutz – bleiben Sie dran!