Geschlecht ist keine biologische Selbstverständlichkeit, es existiert nicht einfach, sondern ist ein Prozess vielfältiger Identifikationen in Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit. Konventionelle, an das biologische Geschlecht anknüpfende Anforderungen, insbesondere stereotypisierende, zwischen männlich und weiblich differenzierenden Bekleidungsvorschriften, sind daher aus Perspektive des Antidiskriminierungsrechts problematisch und prinzipiell unhaltbar.
Zu diesem Schluss kommt Elisabeth Holzleithner, Professorin für Rechtsphilosophie und Legal Gender Studies und Vorständin des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht, in einem neuen, im Auftrag der Gleichbehandlungsanwaltschaft erstellten Gutachten.
Geschlechtsspezifische Bekleidungsvorschriften nur sehr restriktiv zulässig
Die Autorin setzt sich mit Gendertheorie, Rechtswissenschaft und der österreichischen und europäischen höchstgerichtlichen Judikatur sowie der Spruchpraxis der Gleichbehandlungskommission und angloamerikanischer Höchstgerichte auseinander.
Sie kommt zu dem Ergebnis, dass im Arbeitsleben enge, vom Mainstream hergeleitete Normen der Geschlechterperformance nur dann als Anforderung an Miterarbeiter_innen gerichtet werden dürfen, wenn diese als erwiesenes Charakteristikum „aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt“ (Art 14 Abs. 2 RL 2006/54/EG). Für den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen gelte dies in entsprechender Weise (ErwGr. 14, Art. 3 Abs. 2 und 4 Abs. 5 RL 2004/113/EG). Diese Vorgaben sind eng zu interpretieren und mit Aufmerksamkeit und Sensibilität auf den jeweiligen Kontext auszurichten, so Holzleithner.
Geschlecht und Genderperformance im Rechtsdiskurs
Zwar ist das Geschlecht in vielen Bereichen wie der Ehe, der Eingetragenen Partner_innenschaft, dem Grundwehrdienst und der Frauenförderung ein entscheidender Faktor. In anderen Bereichen jedoch ist es mittlerweile zu einer Aufweichung von starren rechtlichen Bestimmungen gekommen. So sind die rechtlichen Vorgaben hinsichtlich medizinischer Eingriffe zur sichtbaren körperlichen Anpassung an das Identifikationsgeschlecht für Transgenderpersonen stark reduziert worden. Inzwischen ist es auch mit intakten Reproduktionsorganen möglich, einen Personenstandswechsel durchzuführen.
Im Antidiskriminierungsrecht gilt eine Diskriminierung aufgrund eines Wechsels des geschlechtlichen Personenstandes als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem richtungsweisenden Urteil festgestellt. Damit wurde ein dynamischer Geschlechtsbegriff in das Europarecht eingeführt, der neben dem biologischen und sozialen Geschlecht auch die Geschlechtsidentifikation einbezieht.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) versteht in seiner Interpretation der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eng an die Biologie anknüpfende Vorstellungen von Geschlecht als nicht zulässig (dazu gibt es ebenfalls ein maßgebliches Urteil).
Sensibles Feld
Bei Dresscodes wird jedoch wie selbstverständlich an stereotypisierende Erwartungen aufgrund des Geschlechts angeknüpft, insbesondere im Arbeitsleben. Dies sei aufgrund einer Zusammenschau des Rechtsprinzips der Menschenwürde, der EU-Grundrechtscharta und der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes und der daraus gebotenen Möglichkeit, sich individuell zu entfalten, weitgehend unzulässig, lautet das Urteil der Autorin.
Arbeitgeber_innen oder etwa auch Sportverbände, die Vorgaben hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes ihrer Mitarbeiter_innen beziehungsweise Athlet_innen machen, begeben sich daher in ein sensibles Feld. Regulierungen des geschlechtsspezifischen Dresscodes müssen jedenfalls hohen, grundrechtlich gebotenen Sachlichkeitsvoraussetzungen entsprechen und stehen in einem grundsätzlichen Spannungsfeld zwischen dem Ordnungswunsch der Arbeitgeber_innen und dem Entfaltungswillen der Arbeitnehmer_innen. Kommt noch das Antidiskriminierungsrecht hinzu sind diese prinzipiell problematisch und in vielen Fällen auch klar illegitim, so Holzleithner.
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Autor: Christian Berger