Am 17. März lud der Klagsverband zur Podiums- und Publikumsdiskussion über Möglichkeiten und Grenzen aktueller Gleichstellungsstrategien und die Utopie einer chancengleichen Gesellschaft ins VinziRast Mittendrin. Dabei wurde deutlich, dass der Einsatz von Recht gegen Diskriminierung im Spannungsfeld von unterschiedlichen Erfahrungen und Erwartungen sowie individueller und struktureller Gerechtigkeit steht.
Spannungsfelder
Volker Frey vom Klagsverband eröffnete das Podium und verwies mehrfach auf dieses Spannungsfeld,
das auch die Arbeit des Klagsverbands prägt. So sei es nicht immer leicht, die Interessen von Einzelpersonen auf Rechtsdurchsetzung und strategische Prozessführung zu verbinden.
Das individuelle Gefühl, diskriminiert worden zu sein, führe auch nicht immer zu einem Gerichtsverfahren. Obwohl Benachteiligung als Unrecht wahrgenommen wird, würden das finanzielle Prozessrisiko und die persönliche Belastung, die mit einem rechtlichen Verfahren einhergehen, große Hürden beim Zugang zum Recht darstellen. Der Klagsverband könne hier durch eine intensive Prozessbegleitung eine gewisse Abhilfe verschaffen.
Auch gäbe es nach wie vor „Baustellen“ im Gleichbehandlungsrecht, die eine effektive Rechtsdurchsetzung verkomplizieren: Es bestehe keine Möglichkeit, Verbandsklagen zu führen und neben Schadenersatzansprüchen auch Ansprüche auf Beseitigung und Herstellung eines rechtskonformen Zustandes geltend zu machen. Diese Problematik zeige sich bei Barrieren im öffentlichen Raum, insbesondere bei solchen im öffentlichen Verkehr.
Österreich habe sich mit der Ratifikation der UN-Behindertenrechtskonvention zwar verpflichtet, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe an allen Lebensbereichen zu gewährleisten, die Republik Österreich lasse allerdings keine ernsthaften Bemühen zur Umsetzung von UN-Empfehlungen – und damit der Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes – erkennen, kritisierte Frey.
Ungleiche Chancen
Karin Heitzmann, Professorin für Sozialpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien, wies daran anknüpfend auf das Spannungsfeld zwischen Chancen- und Ergebnisgleichheit hin. Erstere wäre schon mit gleichen Rahmenbedingungen realisiert, für letztere wäre vor allem ökonomische Umverteilung notwendig, so Heitzmann.
Zur Realisierung von Gleichheit, dies zeige die neuere Ungleichheitsforschung, bedürfe es „ungleicher Chancen“. Gerade Kinder aus bildungsferneren Haushalten könnten mit gleichen Rahmenbedingungen keine gleichen Chancen gewährleistet werden. Sie bräuchten vielmehr besondere Förderung. Dieser Gedanke lasse sich auf andere Personengruppen ausdehnen, so etwa auf Menschen mit Behinderungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder Frauen beim beruflichen Aufstieg.
Solche „affirmative actions“, Interventionen gegen strukturelle Diskriminierungen, seien in Europa allerdings kaum verbreitet und empirische Daten hinsichtlich deren Effektivität kaum vorhanden. Das Verhältnis von Chancen, Leistung und Gerechtigkeit sei nicht zuletzt gesellschaftlich auszuhandeln, insofern ein Kompromiss – und im Lichte der Neoklassik, die den wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream darstellt, eine schädliche Intervention in das per se nicht gerechte „Spiel des Lebens“.
Gleichbehandlungsrecht unzureichend
Andrea Härle, Geschäftsführerin des Romano Centro, einem der ältesten Roma-Vereine Österreichs, nannte im Anschluss an Heitzmann konkrete Bildungsprobleme – und damit ungleiche Chancen – von Roma und Sinti: Viele hätten eine Holocaust- und/oder Migrationserfahrung erklärte Härle. Dazu komme meist die Erfahrung von Ausgrenzung in Bildungseinrichtungen. Zudem sei für viele Deutsch die Drittsprache, was im Schulunterricht vor allem als gruppenbezogenes Defizit wahrgenommen werde.
Klagen gegen Schulen seien allerdings keine Lösung, zumal das Gleichbehandlungsgesetz nur spezifische Merkmale sozialer Differenz erfasse. Ökonomische Ungleichheit und Kultur seien nicht erfasst, Roma hingegen von daran anknüpfender Diskriminierung häufig betroffen.
Gleichbehandlung als neue Normalität
Arbeitsmarktexperte August Gächter betonte mit Verweis auf empirische Daten, dass in Österreich Diskriminierungserfahrungen weit verbreitet, Betroffenen ihre eigenen Rechte hingegen kaum bekannt seien.
Für Gächter ist aber klar, dass Klagen aufgrund des Antidiskriminierungsrechts „für Arbeitgeber_innen eine Rute im Fenster sind“. Die Option, mit einem Diskriminierungsvorwurf – womöglich sogar gerichtlich – konfrontiert zu werden, wirke verhaltensregulierend. Ungleichbehandlung werde zusehends als unternehmerische „Inkompetenz“ und potentieller Wettbewerbsnachteil wahrgenommen.
Amerikanische Studien würden aber auch zeigen, dass der Zugang zum Recht stark von der sozioökonomischen Lage abhängig sei. Rechte einzufordern, eine Strategie der „Mitte“ und das Antidiskriminierungsrecht seien nur eine von vielen Strategien, um Gesellschaften chancengleicher oder sogar gerechter zu gestalten.
In der anschließenden Diskussion wurde der Begriff der Chancengleichheit problematisiert und darauf hingewiesen, dass auf soziale Fragen mit Antidiskriminierungsrecht nur sehr bedingt reagiert werden könne. Das Antidiskriminierungsrecht greife schließlich erst nach einer Benachteiligung korrigierend und ausgleichend ein, dennoch trage es dazu bei, dass Nichtdiskriminierung bzw. Gleichbehandlung als neue Normalität wahrgenommen werde.
Text: Christian Berger
Fotos: Klagsverband
Der Klagsverband diskutiert weiter:
am 16. Juni 2016, 18.00 Uh in Wien: Geschlechter.Grenzen.
Rechtliche Aspekte zur Gleichstellung von intergeschlechtlichen Personen
am 29. September 2016, 18.00 Uhr in Graz: Im Spannungsfeld von politischer Rhetorik und österreichischem Recht. Sprachverbote und verpflichtende Deutschkenntnisse als Voraussetzungen für öffentliche Leistungen
am 1. Dezember 2016, 18.00 Uhr in Linz: Betrifft: UNO-Individualbeschwerden
Handlungsanleitung für ein vernachlässigtes Rechtsinstrument
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