Das Verbot der Vollverschleierung findet sich in Kapitel 4 „Sicherheit und Integration“. „Wir bekennen uns zu einer offenen Gesellschaft, die auch eine offene Kommunikation voraussetzt. Vollverschleierung im öffentlichen Raum steht dem entgegen und wird daher untersagt“, so lautet der betreffende Passus im Regierungsübereinkommen.
Aus Sicht des Klagsverbands ist dieses Verbot abzulehnen. Es verstößt gegen die Religionsfreiheit aber auch gegen das Recht auf Privatleben und das Recht auf Menschenwürde.
Das Verbot der Vollverschleierung ist übrigens neben einer geplanten Frauenquote in Aufsichtsräten die einzige Maßnahme, die sich eigens an die Gruppe der Frauen wendet. Wobei die Regierung nicht müde wird zu betonen, dass der geplante gesetzliche Mindestlohn und auch die vorgesehen Beschäftigungsoffensive für ältere Arbeitnehmer_innen auch Auswirkungen auf Frauen haben wird.
In Abschnitt 4.5 verpflichtet sich der Staat, weltanschaulich und religiös neutral aufzutreten. „In den jeweiligen Ressorts wird bei uniformierten ExekutivbeamtInnen sowie RichterInnen und StaatsanwältInnen darauf geachtet, dass bei Ausübung des Dienstes dieses Neutralitätsgebot gewahrt wird“, heißt es auf Seite 27.
Der Klagsverband betont in diesem Zusammenhang, dass Räume und die Einrichtung von Räumen in öffentlichen Gebäuden weltanschaulich und religiös neutral sein sollten. Öffentlich Bedienstete sind an Gesetze und das Dienstrecht gebunden, deshalb gibt es keinen Grund ihre Religionsfreiheit zu beschränken.
Integration und Sicherheit
Die Überschrift von Kapitel 4 „Sicherheit und Integration“ erscheint in einer Gesellschaft, die sich zu Diversität bekennt, bedenklich. Die Verbindung der beiden Begriffe legt nahe, dass Migration ganz pauschal ein Sicherheitsrisiko darstellt.
Vielleicht hat sich die Regierung deshalb auch auf ein Kochrezept geeinigt: „Migration dämpfen“ lautet die Überschrift von Kapitel 4.6. Wie das gelingen soll? Mit verstärktem Grenzschutz und einem Ausbau der Rückkehrberatung und Anreizen für Rückkehrer_innen. Übrigens wird im gesamten Kapitel 4 ausschließlich von Migranten gesprochen, Migrantinnen werden nicht erwähnt.
Zur Grenzsicherung sollen die Assistenzeinsätze des Bundesheeres verstärkt werden. Hier besteht aus Sicht des Klagsverbands die Gefahr, dass die Trennung der Aufgaben von Polizei und Bundesheer weiter verwässert wird.
Frauenpolitik nicht vorhanden
Noch einmal zurück zur Frauenpolitik. Diese ist im neuen Regierungsprogramm nur in Spurenelementen vorhanden. Geplant ist die Einführung einer Frauenquote von 30 Prozent in Aufsichtsräten von Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Maßnahme soll im Juni 2017 im Ministerrat beschlossen und ab 1. Jänner 2018 wirksam werden.
Das Lohn-Transparenz-Gesetz, das im – von Bundeskanzler Kern vor kurzem präsentierten – Plan A angekündigt war, ist im Regierungsprogramm nicht mehr zu finden. Weitere Gleichstellungsmaßnahmen für Frauen sind ebenfalls nicht vorgesehen.
Positive Integrationsmaßnahmen
Dominiert wird das gesamte Programm von den Themen Sicherheit und Integration. Deutsch- und Wertekurse sollen ausgebaut werden und auch subsidiär Schutzberechtigte sollen einen Anspruch auf positive Maßnahmen wie Deutschkurse und Eingliederungshilfen haben, was der Klagsverband durchaus positiv bewertet.
Aufgefallen ist uns auch das geplante Verbot von salafistischen Verteil- und Rekrutierungsaktionen. Hier besteht die Gefahr rassistisch motivierte Vorurteile zu bedienen. Solche Aktionen können bereits jetzt verboten werden, wenn sie rechtswidrig sind. Eine Anlassgesetzgebung ist hier nicht notwendig.
Im Zuge einer verstärkten Sicherheitspolitik ist auch angedacht, die Überwachung von Telekommunikationsdaten und von Kommunikation im Internet zu erweitern. Diese Form der Überwachung sollte aus Sicht des Klagsverbands ausschließlich nach richterlicher Genehmigung erfolgen.
Arbeitsmarkt
Für den Arbeitsmarkt ist eine Beschäftigungsoffensive geplant. „Die Bundesregierung wird im Rahmen der Beschäftigungsaktion 20.000 für über 50-jährige langzeitarbeitslose Menschen 20.000 Arbeitsplätze pro Jahr in Gemeinden, über gemeinnützige Trägervereine und Unternehmen schaffen bzw. fördern und damit die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe halbieren. Die Beschäftigungsaktion 20.000 startet im Juli 2017 in Form von Pilotprojekten (je Bundesland in einem Bezirk). Das Modell wird so ausgestaltet, dass es keine Verdrängungseffekte gibt.“
Allerdings soll gleichzeitig der Kündigungsschutz für über 50jährige Arbeitnehmer_innen gelockert bleiben. Hier ist Skepsis angesagt, ob die Maßnahme tatsächlich zur Gleichstellung von älteren und arbeitslosen Personen führt oder zu einem verstärkten Abbau älterer Arbeitnehmer_innen in Unternehmen.
Der Klagsverband orientiert sich bei dieser Einschätzung an Erfahrungen mit dem Behinderteneinstellungsgesetz. Dort hat die Lockerung des Kündigungschutzes nicht dazu geführt, dass mehr Menschen mit Behinderungen in Unternehmen eingestellt werden.
Leerstelle Inklusion
Ein Begriff, den die österreichische Bundesregierung nicht zu kennen scheint, ist Inklusion. Diese wird weder im Kapitel Bildung erwähnt noch in den anderen Bereichen.
Gesundheit
Im Bereich Gesundheit ist eine umfassende psychotherapeutische Versorgung geplant, was der Klagsverband nur begrüßen kann. Der Ausbau der Kinder- und Jugendversorgung wird an die Sozialversicherungsträger und den Hauptverband der Sozialversicherungsträger delegiert. Es bleibt die Frage, wer sich zuständig fühlt, wenn die Maßnahmen nicht rechtzeitig umgesetzt werden.
Fußfesseln für Gefährder_innen
„Bei Personen, die einer terroristischen Straftat verdächtigt werden, insbesondere Unterstützung terroristischer Aktivitäten im In-oder Ausland („Rückkehrer“), wird im Regelfall Untersuchungshaft verhängt. In Fällen, in denen die Gefährdung nur abstrakt ist und die Untersuchungshaft unverhältnismäßig wäre, wird die elektronische Fußfessel als gelinderes Mittel angestrebt und durch die Gerichte entschieden. Der Justizminister wird diese Maßnahme im Erlassweg über die Staatsanwaltschaften unterstützen“, heißt es in Kapitel 4.
Aus gleichstellungsrechtlicher Sicht bleibt hier abzuwarten, ob Fußfesseln wirklich als präventive Maßnahme noch vor einem Strafverfahren verhängt werden.
Viele Fragen und ein ernüchterndes Fazit
Beim Lesen des Regierungsprogramms stellen sich aus Sicht des Klagsverband eine Reihe von Fragen: Was passiert mit den offenen Punkten aus dem ursprünglichen Regierungsübereinkommen? Was ist mit der dringend notwendigen Novelle des Gleichbehandlungsgesetzes (GlBG) und der Reform des Behindertengleichstellungsrechts?
Maßnahmen zur Integration und Sicherheitspolitik sollten Hand in Hand gehen mit Gleichstellungsmaßnahmen und Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierung. Because it’s 2017. (da)
Folgen Sie diesem Link, um das Regierungsprogramm herunterzuladen (pdf)