Nur wenige Tage nach der österreichischen Nationalratswahl haben Gerd Valchars, Sieglinde Rosenberger, Stanislava Schraufek Merdinger und Volker Frey in der Hauptbücherei Wien auf Einladung des Klagsverbands diskutiert.
Aber nicht der Ausgang der Wahl wurde an diesem Abend besprochen, sondern die Frage, wer in Österreich überhaupt wählen darf. Das Wahlrecht und zahlreiche andere Rechte sind in Österreich an die Staatsbürgerschaft gebunden. Wer nicht den richtigen Pass hat, hat nicht dieselben Rechte.
(Auf dem Bild zu sehen von links nach rechts: Volker Frey, Gerd Valchars, Stanislava Schraufek Merdinger, Sieglinde Rosenberger)
Staatsbürgerschafts-Diskriminierung
Mit Diskriminierungen aufgrund der Staatsbürgerschaft konnte der Klagsverband in den vergangenen Jahren schon zahlreiche Erfahrungen sammeln:
Die türkische Alleinerzieherin, die in Oberösterreich keine Wohnbeihilfe erhalten hat (hier der Fall zum Nachlesen), der kroatische Familienvater (damals war Kroatien noch nicht in der EU), dem das Land Tirol keine Schulstarthilfe gewähren wollte, der Arbeiter aus der Türkei, der in Niederösterreich keine Pendlerhilfe bekommt (hier geht’s zum Sachverhalt): Sie alle wurden diskriminiert, weil sie keinen österreichischen oder EU-Pass haben. Der Klagsverband hat diese Personen erfolgreich vor Gericht vertreten.
Welche Ausschlüsse und Einschlüsse mit dem Konzept der Staatsbürgerschaft verbunden sind und welche Möglichkeiten zur Gleichstellung es gibt, war das Thema der Veranstaltung.
Wahlrechtslücke
(Auf dem Bild sind die Gäste am Podium zu sehen.)
Der Politikwissenschafter Gerd Valchars von der Universität Wien beschäftigt sich mit Fragen der Staatsbürgerschaft. Angesprochen auf das österreichische Wahlrecht, hat er in seinem Eingangsstatement von einer „Wahlrechtslücke“ gesprochen, „weil die Zahl der Wohnbevölkerung und die Zahl der Wahlbevölkerung zusehends auseinanderdriftet“.
Bei der Nationalratswahl 2017 waren laut Valchars bereits 2.500 Personen weniger wahlberechtigt als noch bei der Bundespräsidentenwahl im Vorjahr. Das liege daran, dass die Zahl der Einbürgerungen in den vergangenen Jahren zurückgegangen sei.
1999 lag der Anteil von Personen im wahlberechtigten Alter, die von der Wahl ausgeschlossen waren, noch bei 14 Prozent, so Valchars. Heute seien es bereits 28 Prozent, also beinahe ein Drittel der Wohnbevölkerung Österreichs.
Ob Wahlergebnisse überhaupt repräsentativ für die Bevölkerung seien, fragte sich Valchars. Denn das Einkommen entscheidet in Österreich mit, ob jemand überhaupt wählen darf. Um die österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen, muss nämlich ein Einkommen von 1.200 Euro monatlich nachgewiesen werden.
Die Zahl der Einbürgerungen sei in Österreich in den vergangenen Jahren aber auch deshalb zurückgegangen, weil der Staat Doppelstaatsbürgerschaften verhindern wolle. Wer die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen will, muss seine bisherige Staatsbürgerschaft – bis auf wenige Ausnahmen – zurücklegen.
Valchars stellte das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz äußerst restriktiv dar: Durch das Abstammungsprinzip würden Ausländer_innen „produziert“. Das Narrativ, die österreichische Staatsbürgerschaft müsse man sich verdienen, würde diesen Prozess politisch legitimieren.
Staatsbürgerschaft und der Zugang zum Recht
Sieglinde Rosenberger ist ebenfalls Politikwissenschafterin an der Universität Wien. Sie richtete ihren Fokus auf den Zugang zu politischen und sozialen Rechten sowie auf damit verbundene Selektionsmechanismen.
Sie ortete eine gesellschaftliche Fragmentierung aufgrund der rechtlich fixierten Statusdifferenzen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Staaten: Zwar gelten für Österreicher_innen, EU/EWR-Bürger_innen und Bürger_innen sogenannter Drittstatten dieselben universalen Menschenrechte. Beim Anspruch auf politische und soziale Rechte gebe es allerdings Abstufungen nach Staatsbürgerschaft und ökonomischem Status.
Das Recht funktioniere hier wie ein Trichter, ganz oben stünden Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft, dann werde der Trichter und somit der Zugang zum Recht immer enger, so Rosenberger.
Diskriminierungserfahrungen in der Praxis
Stanislava Schraufek Merdinger vom Verein Fibel berichtete aus der Beratungspraxis: Viele Personen, die das Beratungsangebot von Fibel in Anspruch nehmen, fühlten sich von Ämtern und Behörden rassistisch belästigt und schikaniert, erzählte sie. Dabei müsse man zwischen tatsächlicher Diskriminierung im rechtlichen Sinn und dem Empfinden, ungerecht behandelt zu werden, unterscheiden.
Aber nicht nur Personen aus Drittstaaten müssten Anträge mehrmals stellen und lange Wartezeiten oder falsche Auskünfte in Kauf nehmen, so Schraufek Merdinger. Auch EU-Bürger_innen hätten oft mangelhafte Informationen, besonders wenn es um den Daueraufenthalt gehe und seien Opfer der intransparenten Vorgehensweise von Ämtern. In vielen Fällen würden solche behördlichen Praktiken als diskriminierende Schikanen empfunden.
Erfolgreiche Verfahren bei Diskriminierung in Landesgesetzen
Volker Frey, Generalsekretär des Klagsverbands, stützte sich in seiner Wortmeldung noch einmal auf die von Sieglinde Rosenberger erwähnte Hierarchisierung des Staatsbürgerschaftsrechts.
Früher hätte es in vielen Bundes- und Landesgesetzen Unterscheidungen aufgrund der Staatsbürgerschaft gegeben, die in den 1990er Jahren mit dem EU-Beitritt sukzessive beseitigt wurden. Auch die Gleichstellung von Drittstaatsangehörigen hätte sich daraufhin verbessert, jetzt aber „schlage das Pendel wieder zurück“, so Frey. Als Beispiel nannte er das aktive Wahlrecht bei Betriebsratswahlen für Drittstaatsangehörige, das es in Österreich erst sei 2006 gibt.
In den Landesgesetzen seien noch zahlreiche Beispiele von Ungleichbehandlung zu finden. Der Klagsverband habe aber bislang alle Verfahren wegen Staatsbürgerschaftsdiskriminierung in Landesgesetzen gewonnen, betonte Frey. (da)
Wir bedanken uns beim Verein Fibel und bei der Hauptbücherei Wien für die Unterstützung!
Fotos: Verein Fibel, Klagsverband