Die Diskussion vom 18. März 2021 jetzt zum Nachsehen auf YouTube.
Am 18. März 2021 hat der Klagsverband zu einer neuen Ausgabe von „Der Klagsverband diskutiert“ eingeladen. Auf Zoom haben die Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger und DieStandard-Ressortleiterin Beate Hausbichler mit Volker Frey über die Medienberichterstattung zu Gleichstellungsthemen, ein solidarisches „wir“ und einen verzerrten Blick auf Machtverhältnisse diskutiert.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Daniela Almer.
Gebärdensprachdolmetsch: Elke Schaumberger und Patricia Brück, DolmetschServicePlus
Aufnahme einer Zoom-Veranstaltung vom 18. März 2021
Untertitel: YouTube/Klagsverband
Länge: 1:24:31
Wieso brauchen Geschichten in den Medien einen Ich-Anker? Warum ist der Begriff „Migrationshintergrund“ problematisch und was hat Integration mit einem Container zu tun? Neugierig? Hier können Sie die Diskussion nachsehen:
Und hier ein Best-of unserer Gesprächsrunde:
Zum Thema „Othering“
Ein großes Thema in der Diskussion war das sogenannte „Othering“, also das Herstellen von Anderssein, das oft eine Grundlage für Rassismus ist.
Judith Kohlenberger
Ich übersetze „Othering“ im Deutschen sehr gerne mit „fremder machen als das andere eigentlich ist“.
„Türkenhochzeiten“ und „Balkanheimkehrer“, an die man besonders appellieren muss, damit sie Maßnahmen einhalten. Das kann man auch anders framen.
Volker Frey
Othering wird durch die Medien oft verstärkt.
Strukturelle Diskriminierung als individuelles Problem
Volker Frey hat dargestellt, wie schwierig es ist, in den Medien und der Öffentlichkeit auf strukturelle Diskriminierung hinzuweisen. Beate Hausbichler und Judith Kohlenberger konnten das bestätigen.
Volker Frey
Diskriminierung wird häufig als individuelles, moralisches Problem gesehen. Wenn jemand vom Türsteher nicht in einen Club gelassen wird, ist der Aufschrei in der Öffentlichkeit groß. Das könnte ja schließlich jedem passieren.
Beate Hausbichler
Die Auswirkungen von diskriminierenden Strukturen in den Medien und der Öffentlichkeit darzustellen, ist eine große Herausforderung.
Ich-Anker
Dieser Begriff stammt aus der Medienwelt. Damit ist gemeint, dass ein Artikel oder Beitrag in den Medien am besten das Interesse der Menschen weckt, wenn der Beitrag an die Erlebnisse einer konkreten Person anknüpft.
Volker Frey
Der Ich-Anker ist schwierig, weil wir es da immer einer Einzelperson zumuten müssen, ihre Geschichte in der Öffentlichkeit zu erzählen und dann wird das oft als moralisches und nicht als strukturelles Problem wahrgenommen.
Beate Hausbichler
In den Medien brauchen wir immer einen Ich-Anker. Aber sollten wir nicht die Fähigkeit haben zu abstrahieren?
Es ist wichtig, dass es für frauenpolitische Themen einen eigenen Platz gibt, wie DieStandard, wo man sich nicht die ganze Zeit die Frage stellen muss, wo ist der Aufhänger und gibt es einen aktuellen Anlass und würde das gute Leser_innenzahlen bringen?
Auch soziale Medien spielen eine entscheidende Rolle, wenn es um die Aufmerksamkeitsökonomie geht. Das hat man bei #Metoo sehr gut gesehen.
Migrationshintergrund
Für die Arbeit des Klagsverbands ist es wichtig, Minderheiten zu benennen. Nur so kann Diskriminierung sichtbar gemacht werden und daran sind auch Rechte geknüpft. Judith Kohlenberger sieht den Begriff jedoch zunehmend problematisch und stützt sich auf die Diskussion in Deutschland. Dort wurde mittlerweile empfohlen, den Begriff nicht mehr zu verwenden.
Judith Kohlenberger
„Migrationshintergrund“ war zuerst ein statistischer Begriff, mittlerweile ist er stigmatisierend. Nicht die größte Gruppe der Migrant_innen in Österreich, die Deutschen oder der kanadische UNO-Mitarbeiter sind damit gemeint. Es gibt eine ganz klare Verknüpfung mit Klasse, Ethnie und Hautfarbe. Das ist problematisch.
In Deutschland wird empfohlen bei der Benennung stärker zu differenzieren und von Eingewanderten zu sprechen. Der Migrationsprozess ist hier abgeschlossen. In Österreich sind wir noch nicht so weit.
Fragen aus dem Zoom-Chat
Frage: Wie können Antidiskriminierungsthemen mehr in den Medien untergebracht werden?
Beate Hausbichler
Bevor wir es schaffen, mehr Antidiskriminierungsthemen in die Medien zu bringen, haben wir noch die Riesenaufgabe ein Bewusstsein zu schaffen, wie die Machtverhältnisse sind.
Es gibt eine sehr verzerrte Perspektive darauf, wie die Machtverhältnisse sind. Neue Ideen von Minderheiten, wie wir die Gesellschaft organisieren könnten, werden gleich als Angriff auf die Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen.
Frage: Wie kann es gelingen Menschen mit Behinderungen so darzustellen, dass sie nicht entweder als „Hascherl“ oder als Superstar dargestellt werden? Sie müssen immer etwas besonders leisten, um überhaupt sichtbar zu sein.
Hausbichler
Für mich wäre die einfachste Lösung, wenn Menschen mit Behinderungen ganz selbstverständlich in den Medien vorkommen, ohne dass es um ihre Behinderung geht. Aber man hat halt immer dieselben drei, vier Leute mit Kurzwahl eingespeichert, die man anrufen kann, wenn man schnell etwas für einen Artikel braucht.
Frage: Ist es immer noch richtig, von weißen Männern als Mehrheitsgesellschaft zu sprechen?
Judith Kohlenberger
Zahlenmäßig stimmt das tatsächlich nicht mehr, aber wenn man sich die Verteilung von Macht und Ressourcen und Privilegien ansieht, schon.
Nehmen wir nur das Beispiel der Justizministerin. Das nennen wir in der Wissenschaft Integrationsparadox. Sie ist bestens integriert und hat sich ihren Platz am Tisch erkämpft. Dafür wird sie mit Abwertung und Hass im Netz bestraft.
Volker Frey
Bernhard Perchinig hat Integration einmal als Container bezeichnet. Alle geben in den Begriff hinein, was sie wollen. Heute geht es bei Integration eigentlich fast nur noch um die Frage, ob jemand Deutsch kann.
Bemerkung im Zoom-Chat:
Der derzeitige gesellschaftliche Diskurs zeigt genau die fehlende Sicht auf Machtverhältnisse.
Eine passende Schlussbemerkungen. Judith Kohlenberger, Beate Hausbichler und Volker Frey sehen das auch so.
Buchempfehlungen
Judith Kohlenberger: „wir“, Kremayr und Scheriau
Beate Hausbichler: Der verkaufte Feminismus, Residenz Verlag