Nach EuGH-Urteil ist der Weg frei für leistbares Wohnen für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft.

In einem richtungsweisenden Urteil hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 10. Juni 2021 mit der oberösterreichischen Wohnbeihilfe auseinandergesetzt und dabei festgehalten, dass Sozialleistungen, die leistbares, angemessenes Wohnen ermöglichen, vor Armut und Ausgrenzung schützen und damit die Integration fördern, grundsätzlich auch langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zugänglich sein müssen, weil es sich dabei um so genannte Kernleistungen handelt.
„Aus Sicht des Klagsverbands ist damit klar, dass auch die Wohnbeihilfe eine solche Kernleistung ist, auf die auch langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige ohne Zusatzvoraussetzungen Anspruch haben“, erläutert Theresa Hammer vom Klagsverband das Urteil heute bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit migrare – Zentrum für MigrantInnen OÖ.
Wie der EuGH festgehalten hat, sind Menschen, die selbst nicht über ausreichende Mittel verfügen und durch Wohnkosten unzumutbar belastet sind, auf Leistungen wie die Wohnbeihilfe angewiesen, da sie sonst andere Grundbedürfnisse nicht mehr adäquat abdecken können. Die derzeitige Praxis des Landes Oberösterreich widerspricht nach Ansicht des Klagsverbands daher dem EU-Recht: „Das oberösterreichische Wohnbauförderungsgesetz soll jetzt adaptiert und die Vergabepraxis endlich diskriminierungsfrei gestaltet werden“, so Hammer. Im Ausgangsfall ist nun das Landesgericht Linz am Zug, die Kriterien des EuGH anzuwenden.
Der Anlassfall
Der Klagsverband unterstützt – zum wiederholten Mal – seit 2018 ein Verfahren gegen das Land Oberösterreich, um die diskriminierende Vorgehensweise beim Zugang zur Wohnbeihilfe anzufechten. Ausgehend vom Fall eines türkischen Staatsbürgers, der das vom Land seit 2018 plötzlich vorgeschriebene Deutschzertifikat nicht nachweisen konnte und deshalb seine Wohnbeihilfe verlor.
Weil er seine Miete ohne Wohnbeihilfe nicht mehr bezahlen konnte, war er beim Klagsverbands-Mitgliedsverein migrare in Beratung. migrare betreut hunderte Klientinnen und Klienten, die keine Wohnbeihilfe bekommen, weil sie aufgrund ihres Alters oder einer Krankheit nicht in der Lage sind, das verlangte Deutschzertifikat vorzuweisen oder andere zusätzliche Voraussetzungen zu erfüllen, wie zB höhere Einkommensnachweise. Mümtaz Karakurt von migrare: „Diese Vorgangsweise des Landes Oberösterreich fördert die Armut und behindert die Integration. Dabei ist sicheres Wohnen eine wesentliche Basis für eine gelingende Integration.“
Der Fall von Klagsverband und migrare hat es schließlich bis zum EuGH geschafft, weil das Landesgericht Linz einige wesentliche Rechtsfragen geklärt haben wollte. Bereits im März hat der Generalanwalt des EuGH empfohlen, die Wohnbeihilfe als Kernleistung einzustufen, die allen Antragsteller_innen zu denselben Voraussetzungen zustehen muss.
Stefan Hindinger, Vertreter der Wohnungslosenhilfe Oberösterreich, appellierte deshalb beim Pressetermin an die OÖ Landesregierung: „Die Einschränkungen bei der Wohnbeihilfe und beim Zugang zu geförderten und damit leistbaren Wohnungen, die dem EU-Recht widersprechen, müssen rasch zurückgenommen werden. Wir erwarten uns eine Politik, die armutsvermeidend und sozial integrativ wirkt.“
Auch Flüchtlinge müssen gleichgestellt werden
Nach Ansicht des Klagsverbands sind auch Auswirkungen des Urteils auf die Gleichstellung von Flüchtlingen und subsidiär schutzberechtigten Personen zu erwarten. Menschen, die langfristig in Österreich leben, müssen menschenwürdig wohnen können.
Gängige Praxis in vielen Bundesländern
Die Wohnbeihilfe ist in allen Bundesländern eine wesentliche Sozialleistung, um Wohnen für Menschen mit niedrigem Einkommen leistbar zu machen. „Das Kriterium für die Vergabe muss Bedürftigkeit sein und nicht wo eine Person herkommt, oder ob sie eine Deutschprüfung besteht“, bringt es Theresa Hammer auf den Punkt.
Allerdings hat die Recherche des Klagsverbands ergeben, dass auch in anderen Bundesländern diskriminierende Zusatzvoraussetzungen von Drittstaatsangehörigen verlangt werden. Die massivsten EU-Rechtsverletzungen sieht der Klagsverband neben Oberösterreich in Niederösterreich.
Presseberichte
ORF Oberösterreich Heute, 10. Juni 2021