Die Diskussion vom 16. September 2021 jetzt zum Nachsehen auf YouTube.
In dieser Ausgabe von „Der Klagsverband diskutiert“ haben wir die UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) vor den Vorhang geholt und über ihre Bedeutung für das Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsrecht gesprochen.
Unsere Gäste waren Sandra Konstatzky, die Leiterin der Gleichbehandlungsanswaltschaft, die Soziologin Nadja Bergmann und Theresa Hammer, die Leiterin der Rechtsdurchsetzung beim Klagsverband.
Schattenbericht und #rechtehatsie
Für den Klagsverband hat das Abenteuer UN-Frauenrechtskonvention 2018 begonnen, als wir den NGO-Schattenbericht begleitend zur neunten Staatenprüfung Österreichs koordinieren durften. Aber, auch wenn der Klagsverband nicht kontinuierlich die Ressourcen hat, #rechtehatsie als Arbeitsschwerpunkt zu verfolgen, so begleitet uns die UN-Frauenrechtskonvention trotzdem weiterhin.
Im Sommer 2019 war nach längerer Zeit wieder einmal ein Anlass, um das menschenrechtliche Engagement der Republik Österreich in Bezug auf die UN-Frauenrechtskonvention zu überprüfen, und zwar im Rahmen eines sogenannten Follow-Ups. Das UN-Frauenrechtskomitee hat in den Abschließenden Bemerkungen zur Staatenprüfung 2019 vier Empfehlungen eine besondere Dringlichkeit attestiert und um einen Zwischenbericht durch den Vertragsstaat Österreich gebeten. Es handelt sich dabei um die Empfehlungen 25b) Schutz von Frauen, die Opfer von Frauenhandel wurden bzw. strafrechtliche Verfolgung von Frauenhändlern, 43c) erleichterte Familienzusammenführung für Personen, die unter internationalem Schutz stehen, die Verringerung der Schulabbruchsrate von Mädchen mit Migrationshintergrund (31d) und Maßnahmen zur Mindestrepräsentation von Frauen im Nationalrat und in den Landtagen (27b).
Wer genauer wissen will, was die Republik Österreich in ihrem Follow-Up-Bericht zu diesen vier Empfehlungen geschrieben hat, kann das hier nachlesen.
Lohngleichheit und Bildung ohne Diskriminierung
Vor dem Hintergrund der Empfehlungen, die das UN-Frauenrechtskomitee bei der jüngsten Staatenprüfung an die Republik Österreich gestellt hat, haben wir bei dieser Ausgabe von „Der Klagsverband diskutiert“ zwei großen Themenbereichen besondere Aufmerksamkeit geschenkt, nämlich Lohngleichheit und Bildung.
Hier eine kurze Zusammenfassung der Eingangsstatements unserer Gäste:
Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit
Empfehlungen zur Verbesserung der Lohngleichheit zwischen Männer und Frauen finden sich in den Abschließenden Bemerkungen 33.

Sandra Konstatzky hat auf den aktuellen Entwurf von der Europäischen Kommission zur Einkommenstransparenz hingewiesen, der für sie auch ein Booster ist und die Forderungen in den Abschließenden Bemerkungen unterstützt. Immerhin habe man in Österreich schon Erfahrungen mit dem Thema durch die Einkommensberichte, so Konstatzky.
Bei der individuellen Rechtsdurchsetzung sieht Sandra Konstatzky drei Hürden:
- Auskunftsrechte: In den Einkommensberichten wird nur dargestellt, was im Durchschnitt verdient wird, man muss aber genau wissen, was eine andere Person für gleichwertige Arbeit verdient. Auch für die Gleichbehandlungsanwaltschaft sind die Auskunftsrechte nicht ganz geklärt. Die Aufklärungsrechte der Gleichbehandlungsanwaltschaft zählen beim Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission, aber nicht im indiviudellen Rechtsverfahren.
- Glaubhaftmachung: Die Beweislastverteilung in Österreich entspricht nicht ganz den europäischen Vorgaben und auch die UN-Frauenrechtskonvention verlangt einen gesicherten Zugang zum Recht. Die Klägerin muss die Diskriminierung glaubhaft machen und nicht die Ungleichbehandlung, das ist für die Gleichbehandlungsanwaltschaft wie eine Verschuldensfrage durch die Hintertür.
- Kosten: Individuelle Rechtsdurchsetzung verursacht hohe Kosten, und zwar monetär und emotional.
Auch die Einkommensberichte seien in Österreich derzeit nicht ideal gelöst, so Sandra Konstatzky. Ihrer Meinung nach bräuchte es dafür eine eigene Monitoringstelle.
Stereotype und Diskriminierung im Bildungsbereich
Nadja Bergmann ist Soziologin, sie hat eine Verbindung hergestellt zwischen Migrationshintergrund, Geschlecht und Bildungsgrad von Schüler*innen in Österreich. Darauf geht auch das UN-Frauenrechtskomitee in den Abschließenden Bemerkungen ein. Für das Follow-Up war die Republik Österreich aufgefordert, auf Maßnahmen zur Verringerung der Schulabbruchsrate von Mädchen mit Migrationshintergrund aus bildungsfernen Familien einzugehen.

Laut Nadja Bergmann zeigen Studien, dass es in Österreich eine sehr enge Verbindung zwischen dem Bildungsgrad der Eltern und dem Bildungsabschluss der Kinder gibt. Das österreichische Bildungssystem ist sehr selektiv, schon ab einem frühen Alter von zehn Jahren durch die Teilung in Mittelschule und AHS. Seit 2016 gibt es die Ausbildungspflicht bis 18.
Zu den Schulabbruchsraten in der oberen Sekundarstufe konnte Najda Bergmann Folgendes sagen: Am wenigsten Schulabbrüche gibt es bei Mädchen, die in Österreich geboren sind. Dann kommen Burschen, die in Österreich geboren sind und dann mit einem großen Abstand Mädchen mit Migrationshintergrund, da brechen rund 20 Prozent in der oberen Sekundarstufe ab. Bei Burschen mit Migrationshintergrund sind es dann schon ein Drittel.
Durch diese hohe Abbruchsrate bei Burschen mit Migrationshintergrund dreht sich auch in der Debatte viel um Maßnahmen für diese Gruppe. Die Diskussion fängt aber erst in diesem späten Alter, mit 15, 16 an. Es gibt keine Begleitung weder für Mädchen noch für Burschen aber der Volksschule. Eine umfassende Strategie fehlt, ab 15, 16 wird auf Reparatur gesetzt, diese Maßnahmen haben keine mädchenspezifischen Aspekte.
Wenn man sich ansieht, wie individuelle Gründe für die Berufswahl mit Strukturen verbunden sind, wird man feststellen, dass bei der Berufswahl das Geschlecht und das Prestige eines Berufes eine große Rolle spielen und zwar schon in einem ganz jungen Alter. Das Interesse der Jugendlichen ist nicht so wichtig. Diese Erkenntnis spricht gegen die freie Bildungswahl, weil diese vermeintliche Freiheit schon ganz früh determiniert wird und oft von Stereotypen geprägt ist, so Bergmann.
Theresa Hammer: Klagsverbands-Verfahren und die UN-Frauenrechtskonvention

Theresa Hammer, die Leiterin der Rechtsdurchsetzung beim Klagsverband hat sich in ihrem Eingangsstatement gefragt, wie der Klagsverband mit Musterverfahren der UN-Frauenrechtskonvention zum Durchbruch verhelfen kann.
Sie hat die erste Verbandsklage in Österreich nach dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz präsentiert, die der Klagsverband derzeit führt und bei der es um die Diskriminierung von Schüler*innen mit Behinderungen bei der bedarfsgerechten persönlichen Assistenz in Bundesschulen geht. Mehr zum Verfahren können Sie hier lesen. Die Verbandsklage betrifft zwar nicht nur Mädchen, zeigt aber sehr gut die Hürden bei der Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen im Bildungsbereich.
Ein Beispiel für intersektionelle Diskriminierung, von der in erster Linie Frauen und Mädchen betroffen sind, ist die Ablehnung einer muslimischen Bewerberin für eine pädagogische Berufsausbildung aufgrund ihres Kopftuches. Dieser Fall wird derzeit von Theresa Hammer geprüft.
Zum Abschluss hat Theresa Hammer noch ein Verfahren vorgestellt, dass vom Gericht leider negativ entschieden wurde und die gängige Praxis des AMS anspricht, älteren Arbeitnehmer*innen, die kurz vor dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter stehen, keine Weiterbildung mehr zu finanzieren. Im vorgestellten Fall wollte die Klägerin nicht mit 60 in Pension gehen und – mit ihren Worten „direkt in die Pensionsarmut“, – sondern mit 59 eine Fördermaßnahme in Anspruch nehmen, um einer ihre Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern. Das AMS hat die Weiterbildung jedoch verweigert.
Neugierig, wie die Diskussion weitergegangen ist? Hier gehts zum YouTube-Kanal des Klagsverbands.