Der Klagsverband hat am 16.12. über inklusive Bildung diskutiert.
In der jüngsten Ausgabe unserer Diskussionsreihe „Der Klagsverband diskutiert“ haben wir die Frage nach dem Recht auf Bildung und schulischer Inklusion in den Mittelpunkt gestellt.
Unser Gast war Volker Schönwiese, der bis 2013 Universitätsprofessor im Lehr- und Forschungsbereich Inklusive Pädagogik und Disability Studies der Universität Innsbruck war und seit den 1970er Jahren Aktivist der Selbstbestimmt Leben Bewegung ist. Er hat mit Theresa Hammer, der Leiterin der Rechtsdurchsetzung beim Klagsverband, über inklusive Bildung und die Möglichkeiten des Antidiskriminierungsrechts diskutiert.
Inklusion satt Segregation
Volker Schönwiese hat in seinem Eingangs-Statement auf den in den 1990er-Jahren „mit einer Petition hart erkämpften“ Verfassungszusatz hingewiesen, der lautet: „Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Die Republik, Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich dazu, die Gleichberechtigung von behinderten und nicht behinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“
Damit hat sich Österreich im Grunde für Inklusion als Weg entschieden, so Volker Schönwiese und auch auf einer normativen menschenrechtlichen Ebene werde durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Republik Österreich der Anspruch auf lebenslange inklusive Bildung anerkannt.
„Trotzdem können wir in Österreich nicht von inklusiven Verhältnissen sprechen“, bringt es Volker Schönwiese auf den Punkt. Das Schulsystem orientiere sich an der Leistungsdifferenzierung und sei in Form eines Kaskadensystems aufgebaut. Das bedeute, wenn Kinder in ihren Leistungen nachlassen, würden sie zurückfallen und es gebe eine Sogwirkung in Richtung Sonderschule. Mittels Diagnostik und Testungen würde festgestellt, welche Möglichkeiten Kinder haben, um in der Schule zu bestehen. In diesem sehr individuellen Verfahren würde nicht gefragt, wie die Situation in der Familie ist und welche Voraussetzungen die Klasse und die Lehrpersonen haben.
Diese Herangehensweise hat laut Volker Schönwiese vielfältige Konsequenzen, dazu gehört ein relativ stabiler Segregationsquotient und damit einhergehend eine nicht sehr hohe Inklusionsrate.
Volker Schönwiese konnte aber auch von einem positiven Phänomen berichten, nämlich dass Kinder mit sehr hohem Unterstützungsbedarf oft ihre ganze Schulkariere hindurch in Inklusionsklassen bleiben.
Wie kann das Antidiskriminierungsrecht hier helfen?
Theresa Hammer hat sich der Frage gewidmet, wie Diskriminierung aufgrund einer Behinderung im Bildungsbereich mit dem österreichischen Recht zu fassen ist? Gerade das Antidiskriminierungsrecht, mit dem der Klagsverband arbeitet, stoße hier an seine Grenzen. Das liege an der extremen Zersplitterung des Rechtsgebietes. Bei jedem Fall sei zu prüfen, welche Gesetze auf Bundes- und Landesebene gelten und welches Dienstrecht. All das müsse mit dem Antidiskriminierungsrecht in Einklang gebracht werden, das ebenfalls in Bundes- und Landesgesetze aufgeteilt sei mit unterschiedlichen Anwendungsbereichen und unterschiedlichen Schutzniveaus.
Komme nach einer rechtlichen Überprüfung eine Schadenersatzklage nach dem Antidiskriminierungsrecht in Frage, bleibe zu beurteilen, ob ein Gerichtsverfahren das geeignete Mittel sei, um die Bedingungen für Schüler*innen zu verbessern.
Besonders bei mittelbaren Diskriminierungen würden sich strukturelle Aspekte zeigen, die Ungleichbehandlung fördern, betont Hammer. Mangelnde Barrierefreiheit sei ein sehr gutes Beispiel dafür und in diesem Bereich habe der Klagsverband schon zahlreiche erfolgreiche Verfahren geführt.
Verbandsklage
Ein Rechtsinstrument, mit dem diskriminierende Strukturen bekämpft werden können, ist die Verbandsklage. Dieses Instrument werde derzeit vom Klagsverband gemeinsam mit zahlreichen Mitgliedsvereinen erprobt, um die Diskriminierung von Schüler*innen mit Behinderungen beim Zugang zur bedarfsgerechten persönlichen Assistenz in Bundesschulen abzustellen.
Lebhafte Diskussion
Nach den Beiträgen von Volker Schönwiese und Theresa Hammer hat sich eine lebhafte Diskussion mit dem Publikum entwickelt, in der nicht nur Defizite, sondern auch eine Reihe gelungener Beispiele für Inklusion genannt wurden.