Hier lesen Sie unsere heutige Presseaussendung und Hintergrundinformationen.
Klagsverband erwirkt Gerichtsurteil zum Diskriminierungsschutz von Menschen mit HIV
Hammer zum Urteil: „Eine HIV-Infektion darf kein Grund für schlechtere oder gar keine zahnärztliche Behandlung sein“
Wien (OTS) – Ich freue mich sehr über das positive Urteil, mit dem das Gericht unserer Klägerin vollen Schadenersatz zuspricht. Menschen mit HIV darf eine zahnärztliche Behandlung nicht aufgrund ihrer Infektion verweigert werden. Auch ein Behandlungstermin am Endes Tages aus angeblich notwendigen hygienischen Gründen ist diskriminierend. Leider erleben HIV-positive Menschen immer wieder Diskriminierung bei Gesundheitsdienstleistungen. Dagegen kann man sich wehren, notfalls auch vor Gericht, wie unsere Mandantin zeigt
, sagt Theresa Hammer, Leitung der Rechtsdurchsetzung des Klagsverbands. Die beklagte Zahnärztin hat gegen das Urteil berufen. Das Verfahren geht damit in die 2. Instanz. Hammer zeigt sich zuversichtlich, dass das Wiener Landesgericht die Entscheidung bestätigen wird.
Ich habe mich an die Aids Hilfe Wien und den Klagsverband gewandt, weil ich die Diskriminierung nicht akzeptieren wollte. Bei einem Zahnarzttermin wurde mir die Behandlung aufgrund der HIV-Infektion verweigert
, schildert die Klägerin, Frau D., den Sachverhalt. Ihre HIV-Infektion hatte sie im Rahmen eines standardisierten Fragebogens angegeben. Die behandelnde Zahnärztin verwehrte ihr daraufhin die Behandlung aufgrund ihrer HIV-Infektion. Schließlich wurde Frau D. mit Verweis auf angeblich notwendige spezielle Hygienemaßnahmen ein Termin am Ende des Behandlungstages in Aussicht gestellt. „Die ganze Situation war demütigend und stigmatisierend. Als Patientin erwarte ich mir einen respektvollen Umgang und eine Behandlung so wie alle anderen auch.“
In unseren Beratungen hören wir immer wieder, dass HIV-positiven Menschen unter Verweis auf vermeintliche Hygienestandards eine zahnärztliche Behandlung verwehrt wird. Dahinter stecken oft Vorurteile und falsche oder veraltete Informationen.
So sind HIV-positive Menschen, deren Viruslast aufgrund moderner Medikamente nicht nachweisbar ist, gar nicht ansteckend. Umgekehrt ist das HI-Virus nicht sichtbar, weshalb grundsätzlich alle Patient*innen so behandelt werden müssen, dass eine Übertragung – auch mit weitaus ansteckenderen anderen Infektionen – ausgeschlossen wird. HIV ist mittlerweile gut behandelbar, unter Stigmatisierung und Diskriminierung leiden Betroffene jedoch leider häufig nach wie vor, erklärt Barbara Murero-Holzbauer, juristische Mitarbeiterin der Aids Hilfe Wien und zugleich Vorstandsmitglied beim Klagsverband.
Rückfragen & Kontakt:
Klagsverband, Öffentlichkeitsarbeit Paul Haller, +43 660 9023520, paul.haller@klagsverband.at www.klagsverband.at Aids Hilfe Wien, Öffentlichkeitsarbeit Juliana Metyko-Papousek, +43 660 5921125, metyko@aids-hilfe-wien.at www.aids.at
Hintergrund
Nach einem gescheiterten Schlichtungsversuch vor dem Sozialministeriumsservice im Jahr 2019 klagte Frau D., eine HIV-positive Frau, auf Schadenersatz aufgrund einer Diskriminierung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG). Der Klagsverband hat die Klägerin vor Gericht rechtlich vertreten. Die Aids Hilfe Wien ist Mitgliedsorganisation des Klagsverbands und hat den Fall an den Klagsverband herangetragen.
Das Bezirksgericht Döbling hat der Klägerin in einem aktuellen Urteil den vollen Schadenersatz in der Höhe von 1.500€ zugesprochen und erkannt, dass es sich in diesem Fall um eine Diskriminierung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) handelt. Die HIV-Infektion fällt als chronische Erkrankung rechtlich unter das Diskriminierungsmerkmal Behinderung. Diskriminierung aufgrund der Behinderung ist sowohl in der Arbeitswelt als auch beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen (z.B. im Gesundheitsbereich) verboten. Die beklagte Partei hat gegen das Urteil berufen. Das Verfahren geht somit in die 2. Instanz vor das Wiener Landesgericht.
Rechtliche Aussagen des Urteils
Wesentliche rechtliche Aussagen des Urteils sind laut Theresa Hammer, Leitung der Rechtsdurchsetzung des Klagsverbands:
- Sowohl die Ablehnung der Behandlung wegen HIV als auch das Angebot, die Klägerin am Ende des Tages zu behandeln, stellen eine direkte Diskriminierung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) bei einer Dienstleistung dar. Menschen mit HIV darf eine zahnärztliche Behandlung nicht aufgrund ihrer Infektion verweigert werden. Sie müssen auch keinen Schlusstermin aus vermeintlichen Hygienegründen akzeptieren.
- Die Viruslast spielt dabei keine Rolle bei der Beurteilung, ob eine Diskriminierung nach dem BGStG vorliegt, weil es keinen sachlichen Grund gibt, HIV-positive Patient*innen (egal welcher Viruslast) in Bezug auf Hygiene und den Schutz vor einer Übertragung anders zu behandeln als andere Patient*innen.
- Der Schadenersatz ist laut Gericht jedenfalls angemessen. Dass im Fall von Frau D. andere Patient*innen die Diagnose und die Ablehnung zumindest theoretisch hätten mithören können, hat das Gericht als einen der Faktoren bei der Bemessung des Schadenersatzes berücksichtigt. Diskriminierend war aber bereits die Ablehnung der Klägerin.
Zahlen, Daten, Fakten der Aids Hilfe Wien
Vermehrt Diskriminierung im Gesundheitssektor
Viele Menschen mit HIV erleben abwertendes Verhalten, wenn sie ihren Status bekannt geben. Sie werden „abgewimmelt“, gemaßregelt, beschimpft, zwangs-beurlaubt oder gar gekündigt. Auch das Thema Datenschutz spielt im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion immer wieder eine Rolle: Der Aids Hilfe Wien wurde auch 2022 mehrfach über rechtswidrigen Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten berichtet.
Im Jahr 2022 betrafen die meisten Berichte über Ungleichbehandlung, die an die AIDS-Hilfen Österreichs herangetragen wurden, das Gesundheitswesen (65,7% der Meldungen), also Vorfälle bei Ärzt*innen, in Kliniken, bei Zahnärzt*innen oder im Zuge von Kur- oder REHA-Aufenthalten.
Meldungen an die AIDS-Hilfen Österreichs nach Bereich der Diskriminierung (2022):
Gesundheitswesen: 65,7%
Beruf: 8,5 %
Privat/Freizeit: 17,2 %
Behörde/Versicherung: 2,9%
Medien, Internet: 5,7%
Informationen zum Thema Antidiskriminierung finden sich in der Broschüre #GemeinsamGegenDiskriminierung.
Zum Thema „Die zahnmedizinische Behandlung HIV-positiver Menschen“ wurde auch – ausgehend vom vorliegenden Fall – ein von der Aids Hilfe Wien gemeinsame mit der Zahnärztekammer Wien verfasster Artikel, der die Thematik gut zusammenfasst und im Rahmen der Österreichischen Zahnärztezeitung an alle Zahnärzt*innen verteilt wurde.
Kontaktmöglichkeiten bei vermuteter Diskriminierung: Antidiskriminierung, Aids Hilfe Wien
Presseaussendung der Aids Hilfe Wien vom 28.02.2023 zum Zero Discrimination Day.
Folgende Medien haben im Zusammenhang mit unserer Pressearbeit berichtet:
Café Puls (Puls4, Pro Sieben Austria), 20.03.2023, TV-Beitrag mit Interviews mit Theresa Hammer, Barbara Murero-Holzbauer und der Klägerin
Ö1-Morgenjournal, 20.03.2023, Frau mit HIV klagt wegen Diskriminierung bei HIV-Behandlung
Ö1-Frühjournal, 20.03.2023, HIV-positive Frau klagt wegen Diskriminierung bei HIV-Behandlung
Wien.ORF.at, 20.03.2023, Später Zahnarzttermin für HIV-Positive: Urteil
DerStandard.at, 20.03.2023, Frau mit HIV klagt wegen Diskriminierung bei Zahnärztin und gewinnt in erster Instanz
DiePresse.at, 20.03.2023, Diskriminierung: HIV-Positive wurde von Zahnärztin nur am Ende des Tages behandelt
Kurier.at, 20.03.2023, HIV-positive Frau erhält Schadenersatz wegen Diskriminierung bei Zahnärztin
KleineZeitung.at, 20.03.2023, Frau mit HIV klagt wegen Diskriminierung
Salzburger Nachrichten – SN.at, 20.03.2023, Späterer Zahnarzttermin für HIV-Positive diskriminierend
Puls24.at, 20.03.2023, Späterer Zahnarzttermin für HIV-Positive diskriminierend
Vol.at, 20.03.2023, Späterer Zahnarzttermin für HIV-Positive diskriminierend
Krone.at, 20.03.2023, Zahnärztin wollte HIV-Positive nicht behandeln
Heute.at, 20.03.2023, „Alles desinfizieren“ – Frau bei Zahnarzt diskriminiert
Mannschaft.com, 20.03.2023, Wien: HIV-positive Frau klagt gegen Diskriminierung bei Zahnärztin
News.at, 20.03.2023, Späterer Zahnarzttermin für HIV-Positive diskriminierend
BIZEPS.or.at, 20.03.2023, Klagsverband erwirkt Gerichtsurteil zum Diskriminierungsschutz von Menschen mit HIV
VIENNA.at, 20.03.2023, HIV-Positive erhält nach Zahnarzttermin Schadenersatz
Vorarlberger Nachrichten – VN.at, 20.03.2023, Späterer Zahnarzttermin für HIV-Positive diskriminierend
GGG.at, 20.03.2023, Schadenersatz für HIV-positive Frau nach Diskriminierung bei Zahnärztin
Ö24.at, 20.03.2023, Zahnärztin wollte HIV-Positive nichtbehandeln
medinlive.at (Ärztekammer Wien), 20.03.2023, Zahnarzttermin nur am Ende des Tages für HIV-Positive diskriminierend
k.at, 20.03.2023, Zahnärztin wollte HIV-Positive nicht behandeln
Zahnärztliche Mitteilungen, zm-online.de, HIV-positive Patientin abgelehnt – Zahnärztin zu Schadenersatz verklagt
ZWP Online, 30.03.2023, Zahnarzttermin für HIV-Positive diskriminierend
Our Bodies – Feministisches Gesundheitsmagazin, Beitrag von Theresa Hammer und Paul Haller, Diskriminierungsschutz von Menschen mit HIV
Xtra!-Magazin 390/2023, Beitrag von Theresa Hammer und Paul Haller, Diskriminierungsschutz von Menschen mit HIV – Klagsverband erwirkt Gerichtsurteil
Deutsche Aidshilfe, 26.05.2023, Ein Urteil mit Signalwirkung für alle Menschen mit HIV
Deutsche Aidshilfe, 26.05.2023, Das gute Recht, sich gegen Diskriminierung zu wehren, Interview mit Theresa Hammer
Deutsche Aidshilfe, 26.05.2023, Musterprozesse sind wichtig für den Diskriminierungsschutz, Interview mit Ferda Ataman, Unabhängig Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung