Hier lesen Sie unsere heutige Presseaussendung und Hintergrundinformationen zu unserem aktuellen Fall.

Klagsverband erwirkt Gerichtsurteil: Muslimische Frau wehrt sich erfolgreich gegen Diskriminierung
Hammer: Aufdringliche Fragen zum Kopftuch im Bewerbungsgespräch sind diskriminierend
Wien (OTS) – „Ich freue mich über das aktuelle Urteil zum Diskriminierungsschutz von muslimischen Frauen. Wiederholte, aufdringliche Fragen nach dem Kopftuch haben in einem Bewerbungsverfahren nichts zu suchen. Das Gericht stellt klar, dass das eine verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Religion darstellen kann“, sagt Theresa Hammer, Leitung der Rechtsdurchsetzung des Klagsverbands zu einem aktuellen Verfahren, das der Klagsverband in zweiter Instanz gewonnen hat. Das Gericht sprach der Klägerin einen Schadenersatz von 2.000 Euro zu.
Nachdem Frau F. schon Erfahrung als Kindergartenassistentin gesammelt hatte, wollte sie sich weiterqualifizieren und bei einem Wiener Anbieter die Ausbildung zur Kindergruppenbetreuerin absolvieren. Bei der Bewerbung um den Ausbildungsplatz musste sie jedoch feststellen, dass offenbar ihr Hijab und nicht ihre fachliche Eignung im Mittelpunkt stand. Frau F. wurde in diskriminierender Weise immer wieder nach ihrem Kopftuch gefragt und gedrängt, es doch lieber abzulegen. Den Ausbildungsplatz bekam sie nicht. „Anstatt auf meine Fähigkeiten oder meine Erfahrung zu schauen, hat sich das Vorstellungsgespräch um mein Kopftuch gedreht. Das hat mich eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Ich hatte das Gefühl, mich für mein Aussehen und meine Herkunft rechtfertigen zu müssen und keine faire Chance zu haben. Ich wünsche mir, dass andere Frauen diese Erfahrung in Zukunft nicht mehr machen müssen“, erzählt Frau F. Nach Unterstützung durch die Gleichbehandlungsanwaltschaft und die Dokustelle Islamfeindlichkeit und Antimuslimischer Rassismus brachte der Klagsverband für sie eine Klage ein.
„Frau F. hat als Muslima offenbar nicht in das gewünschte Frauenbild gepasst. Muslimische Frauen werden nicht nur am Arbeitsmarkt stark diskriminiert, sondern oft schon in der Ausbildung oder beim Berufseinstieg. Und das offensichtlich sogar in Branchen die händeringend nach Mitarbeiter*innen suchen. Das Antidiskriminierungsrecht setzt hier Grenzen, die ein respektvolles Miteinander gewährleisten sollen“, so Hammer vom Klagsverband.
Diese weit verbreitete Diskriminierung habe oft verheerende Konsequenzen für die Selbstbestimmung von muslimischen Frauen, weiß Ümmü Selime Türe von der Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus: „Wir wissen aus der Beratung, dass viele unserer Klientinnen im Bewerbungsverfahren diskriminiert werden. Muslimischen Frauen wird dadurch der berufliche und finanzielle Aufstieg verwehrt. Diskriminierung am Arbeitsmarkt behindert die Selbstbestimmung von Frauen und führt dazu, dass sie ihren Platz in der Gesellschaft nicht finden.“ Türe und Hammer plädieren beide dafür, das gesellschaftliche Bild von Frauen mit Kopftuch rassismus- und sexismuskritisch zu hinterfragen.
Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen wies die Berufung des Ausbildungsanbieters ab. Das Urteil ist damit rechtskräftig.
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Klagsverband, Öffentlichkeitsarbeit
Paul Haller, +43 660 9023520, paul.haller@klagsverband.at
Hintergrund
Nach den negativen Erfahrungen im Bewerbungsprozess im Jahr 2018 wandte sich die damals 19-jährige Frau F. zunächst an die Gleichbehandlungsanwaltschaft. Diese brachte den Fall vor die Gleichbehandlungskommission, welche mit Prüfungsergebnis vom März 2021 eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Religion und der ethnischen Zugehörigkeit feststellte. Die Gleichbehandlungskommission empfahl dem Wiener Ausbildungsanbieter angemessenen Schadenersatz zu bezahlen sowie standardisierte Bewerbungsverfahren einzuführen, um in Zukunft diskriminierungsfreie Verfahren sicherzustellen. Selbst nach dem Prüfungsergebnis konnte mit dem Ausbildungsanbieter jedoch keine außergerichtliche Lösung gefunden werden. Deshalb wandte sich Frau F. mit Unterstützung der Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus in weiterer Folge an de Klagsverband, um Schadenersatz aufgrund einer Diskriminierung nach dem Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) einzuklagen. Der Klagsverband hat die Klägerin vor Gericht rechtlich vertreten.
Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen hat mit Urteil vom 21. Februar 2023 die Entscheidung des Bezirksgericht Innere Stadt Wien bestätigt und Frau F. somit den vollen geltend gemachten Schadenersatz in der Höhe von 2.000 Euro zugesprochen. Das Gericht stellte eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Religion nach dem Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) fest.
Die Klägerin, Frau F., sagt dazu: „Viele Frauen trauen sich nicht sich zu wehren und meinen, es würde ohnehin nichts bringen. Allein deshalb war es mir wichtig, gegen die Diskriminierung vorzugehen. Ich freue mich sehr über das Urteil nach diesem jahrelangen Rechtsweg.“
„Die Diskriminierung von Frauen, die Hijab tragen, hängt nicht nur mit Religion und Geschlecht zusammen, sie ist auch eine Form von Rassismus. Es ist schade, dass dies nicht gerichtlich klargestellt wurde“, ergänzt Sandra Konstatzky, Leitung der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Und weiter: „74 Prozent der Anfragen, die wir zum Diskriminierungsgrund Religion betreuen, betreffen Personen muslimischen Glaubens. Auffällig ist, dass sich davon 90 Prozent auf Diskriminierungserfahrungen von muslimischen Frauen beziehen. Wir freuen uns deswegen besonders, dass in diesem Urteil der Zusammenhang zwischen Religion und Geschlecht so klar erkannt wird. Frauen dürfen nicht wegen eines Hijabs aus Berufsausbildungen ausgeschlossen werden.“
Ümmü Selime Türe, stellvertretende Geschäftsführerin der Dokustelle sagt zum Gerichtsurteil: „Wir weisen seit Beginn unserer Arbeit darauf hin, dass besonders sichtbare muslimische Frauen überproportional von antimuslimischem Rassismus betroffen sind und der Aspekt der Intersektionalität bei Diskriminierungen eine große Rolle spielt. Wir haben im Fall von Frau F. deutlich gesehen, dass sie aufgrund ihrer Religion und ihres Geschlechts diskriminiert wurde. Dieser Rechtsspruch unterstreicht genau das, was wir seit Jahren sagen und wir sind froh darüber, dass Frau F. mit der Unterstützung der Dokustelle und vom Klagsverband nun den Fall gewonnen hat. Wir hoffen, dass in Zukunft Menschen aufgrund ihrer Kompetenzen eingestellt werden und nicht aufgrund ihres Aussehens, ihres Geschlechts oder ihres Glaubens.“
Rechtliche Aussagen des Urteils
Wesentliche rechtliche Aussagen des Urteils sind laut Theresa Hammer, Leitung der Rechtsdurchsetzung des Klagsverbands:
- Das Gericht stellt klar, dass auch der Zugang zu einer Ausbildung vom Diskriminierungsschutz umfasst ist, nicht nur die Durchführung der Ausbildung selbst.
- Die wiederholte negative Bezugnahme auf das Kopftuch als eindeutig religiös konnotiertes Kleidungsstück, das nur von Frauen getragen wird, stellt eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Religion dar.
- Durch die wiederholte negative Bezugnahme auf ihr Kopftuch, die immer wiederkehrenden Fragen, ob sie es nicht ablegen oder zumindest zurückbinden könne, entstand bei Frau F. berechtigterweise der Eindruck, dass sie als muslimische Frau offenbar nicht dem erwünschten Frauenbild entspreche, nicht erwünscht sei und dass sie auf ihr Kopftuch reduziert werde. Dies ist ausschlageben für die Beurteilung, ob eine Diskriminierung vorliegt. Es handelte sich um kein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren um diesen Ausbildungsplatz, was den Vorgaben des Gleichbehandlungsgesetzes widerspricht.
- 2.000 Euro immaterieller Schadenersatz sind jedenfalls angemessen für die persönliche Beeinträchtigung während des diskriminierenden, nicht fairen Bewerbungsverfahrens und aufgrund der Auswirkungen auf die berufliche Zukunft der Klägerin: Sie musste rasch eine andere Ausbildung finden, in einer schlechter bezahlten Branche; ihre einzige Möglichkeit, jetzt ihrem eigentlichen Wunschberuf nahezukommen, ist als Kindergartenassistentin zu arbeiten. Auch diese Tätigkeit ist wesentlich schlechter bezahlt als der eigentlich von ihr angestrebte Beruf.
Zahlen, Daten, Fakten der Gleichbehandlungsanwaltschaft
Im Zeitraum 2020/2021 hat die Gleichbehandlungsanwaltschaft 244 mal zum Diskriminierungsgrund Religion beraten. 74 Prozent dieser Anfragen betrafen Diskriminierungen von Personen muslimischen Glaubens. Auffällig ist vor allem, dass sich davon 90 Prozent auf Diskriminierungserfahrungen von muslimischen Frauen beziehen. Durch das sichtbare Tragen von Hijab, Niqab, Burka oder Burkini sind Frauen rassistischen Zuschreibungen als „fremd“ und „nicht-zugehörig“ besonders stark ausgesetzt. Diskriminierungen und Belästigungen, die sich gegen Frauen muslimischen Glaubens richten, bauen auf diesen problematischen Zuschreibungen auf. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft bietet kostenlose Beratung und Unterstützung, um gegen solche Diskriminierungen vorzugehen.
Folgende Medien haben im Zusammenhang mit unserer Pressearbeit berichtet:
Ö1-Journal um 8, 17.04.2023, Urteil zu Diskriminierung muslimischer Frauen
Krone.TV, 17.04.2023, Frage nach Kopftuch bei Bewerbung
Wien.ORF.at, 17.04.2023, Frage nach Kopftuch bei Bewerbung diskriminierend
ORF.at, 17.04.2023, Aufdringliche Frage nach Kopftuch in Bewerbung ist diskriminierend
DerStandard.at, 17.04.2023, Aufdringliche Frage nach Kopftuch in Bewerbung diskriminierend
Krone.at, 17.04.2023, Gericht urteilte: Fragen nach Kopftuch in Bewerbung diskriminierend
Tiroler Tageszeitung, tt.com, 17.04.2023, Aufdringliche Fragen nach Kopftuch in Bewerbung ist diskriminierend
Kurier.at, 17.04.2023, Gericht bewertet aufdringliche Frage nach Kopftuch als diskriminierend
Oberösterreichische Nachrichten, nachrichten.at, 17.04.2023, Fragen nach Kopftuch: 2.000 Euro Schadenersatz für Wienerin
Vienna.at, 17.04.2023, Aufdringliche Fragen nach Kopftuch: Schadenersatz
Puls24.at, 17.04.2023, Erfolgreiche Klage: Frage nach Kopftuch bei Bewerbung ist diskriminierend
WienerZeitung.at, 17.04.2023, Antimuslimischer Rassismus. Frage nach Kopftuch in Bewerbung diskriminierend
MeinBezirk.at, 17.04.2023, Diskriminierung in Wien. Frau nach Kopftuch-Frage Schadenersatz zugesprochen
DiePresse.at, 17.04.2023, Nach Kopftuch gefragt und abgelehnt: 2.000 Euro Entschädigung
oe24.at, 17.04.2023, Kein Kindergarten-Job wegen Kopftuch
Kosmo.at, 17.04.2023, Wien: Frau auf Job-Training aufgefordert, Hijab abzunehmen
TRThaber.com, 17.04.2023, Avusturya’da başörtüsü kararı: İş görüşmesinde sorulması ayrımcılık
KleineZeitung.at, 18.04.2023, Wegen Kopftuch diskriminiert: 2000 Euro Schadenersatz für Wienerin
Heute.at, 18.04.2023, Frau sollte Kopftuch ablegen – 2.000 Euro Schadenersatz
Salzburg.orf.at, 18.04.2023, Diskriminierung: Kopftuch-Urteil mit Signalwirkung
Salzburg24.at, 18.04.2023, Warum ein Wiener Kopftuch-Urteil auch Salzburg betrifft
Türkische Radio- und Fernsehanstalt Berlin, TRT Deutsch, 18.04.2023, Österreich: Frage nach Kopftuch in Bewerbung – Schadenersatz für Muslima
Falter, 19.04.2023, Warum Firmen Lebensläufe anders lesen sollten (Print: Download)
KleineZeitung, 19.04.2023, Muslima diskriminert: „Bewerbungsgespräch drehte sich nur um mein Kopftuch“ (Print: Download Seite 10, Seite 11)
Vorarlberger Nachrichten, Vol.at, 20.04.2023, Kopftuch in der Berufswelt: So tolerant ist Österreich
GAW, Gleichbehandlungsanwaltschaft, „Fall des Monats April 2023“, 24.04.2023, Job in Aussicht aber Weg zur Ausbildung verwehrt: Muslimischer Kindergartenassistentin wehrt sich erfolgreich
GAW, Gleichbehandlungsanwaltschaft, 24.04.2023, Interview mit Klägerin