Im Salzburger Menschenrechts-Bericht 2023 lassen wir unsere gewonnenen Gerichtsverfahren des letzten Jahres Revue passieren. Hier lesen Sie Artikel 4 von 5 aus dem Menschenrechts-Bericht der Plattform Menschenrechte Salzburg.
Diskriminierungsschutz von Menschen mit HIV – Klagsverband erwirkt Urteil im Bereich Gesundheitsdienstleistungen
Eine HIV-Infektion darf kein Grund für eine schlechtere oder gar keine zahnärztliche Behandlung sein. Der Klagsverband hat dazu in Zusammenarbeit mit der Aids Hilfe Wien ein aktuelles Urteil erwirkt. Theresa Hammer und Paul Haller vom Klagsverband erklären die Hintergründe und die Bedeutung des Urteils.
Als Frau D. zur Zahnärztin ging, hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie an diesem Tage keine Behandlung erhalten würde. Auf einem standardisierten Fragebogen gab sie wahrheitsgemäß ihre HIV-Infektion an. Die behandelnde Zahnärztin verwehrte ihr daraufhin die Behandlung – einzig und allein aufgrund der HIV-Infektion. Sie „erklärte der Klägerin [Frau D.], dass es ihr nicht möglich sei, sie zu behandeln, weil sie nicht über die Arbeitsmaterialien verfüge, denn sie müsste nach ihr alles doppelt sterilisieren, desinfizieren und gründlich reinigen, weil die Klägerin sonst eine Gefährdung für die anderen Patienten und die Mitarbeiterinnen der Beklagten darstelle“, heißt es in der Sachverhaltsfeststellung des Wiener Bezirksgerichts (BG Döbling 8.2.2023, 17 C 1703/21t).
Das Gespräch mit der Ärztin und die Gesamtsituation waren für Frau D. sehr unangenehm und mit hohem Stress verbunden. Umso mehr als andere Patient*innen das Gespräch hätten mithören können und Frau D. zu dem Zeitpunkt nicht als HIV-positiv geoutet werden wollte. Sie fühlte sich durch die Ablehnung diskriminiert und gedemütigt, wollte aber dennoch medizinisch behandelt werden – schließlich hatte sie vorab einen Termin erhalten, für den sie sich extra frei genommen hatte. Nach nervenaufreibenden Diskussionen, in denen Frau D. zu erklären versuchte, dass sie schon seit vielen Jahren in Behandlung und ihre Viruslast derart gering sei, dass keine Ansteckungsgefahr bestünde, wurde ihr schließlich ein Behandlungstermin am Ende des Tages angeboten. Diesen so genannten Schlusstermin rechtfertigte die Zahnärztin erneut mit vermeintlich notwendigen Hygienestandards und dem Risiko einer Übertragung auf andere Patient•innen. Tatsächlich gibt es Hygienestandards für die Behandlung aller Patient•innen, aber keine speziell für Menschen mit HIV.
Kein Einzelfall
Der Fall von Frau D. ist kein Einzelfall. Knapp zwei Drittel der Diskriminierungsfälle, die 2022 den österreichischen AIDS-Hilfen gemeldet wurden, betreffen Diskriminierung im Gesundheitswesen. „In unseren Beratungen hören wir immer wieder, dass HIV-positiven Menschen unter Verweis auf vermeintliche Hygienestandards eine zahnärztliche Behandlung verwehrt wird. Dahinter stecken oft Vorurteile und falsche oder veraltete Informationen. So sind HIV-positive Menschen, deren Viruslast aufgrund moderner Medikamente nicht nachweisbar ist, gar nicht ansteckend“, erklärt Barbara Murero-Holzbauer, juristische Mitarbeiterin der Aids Hilfe Wien und zugleich Vorstandsmitglied beim Klagsverband. „Umgekehrt ist das HI-Virus nicht sichtbar, weshalb grundsätzlich alle Patient•innen so behandelt werden müssen, dass eine Übertragung – auch mit weitaus ansteckenderen anderen Infektionen – ausgeschlossen wird.“
Frau D. wehrt sich gegen Diskriminierung …
Frau D. wollte die diskriminierenden Erfahrungen nicht auf sich sitzen lassen. „Ich habe mich an die Aids Hilfe Wien und den Klagsverband gewandt, weil ich die Diskriminierung nicht akzeptieren wollte. Die ganze Situation war demütigend und stigmatisierend. Als Patientin erwarte ich mir einen respekt- vollen Umgang und eine Behandlung so wie alle anderen auch“, erklärt sie.
Nach einem gescheiterten Schlichtungsversuch vor dem Sozialministeriumsservice im Jahr 2019 klagte Frau D. mit Unterstützung des Klagsverbands auf Schadenersatz aufgrund einer Diskriminierung. Für den Klagsverband war es wichtig, auf dem Rechts- weg zu klären, ob das Diskriminierungsverbot in einem derartigen Fall greift und betroffene Menschen Schadenersatzansprüche geltend machen können. Denn ein gleichberechtigter Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen ist nicht zuletzt auch grund- und menschenrechtlich relevant.
… und bekommt schließlich Recht
Frau D. bekommt Recht: Das Gericht erkennt in 1. und 2. Instanz eine Diskriminierung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) handelt und spricht ihr Schadenersatz zu. Eine HIV-Infektion fällt als chronische Erkrankung rechtlich unter das Diskriminierungsmerkmal Behinderung. Diskriminierung aufgrund der Behinderung ist sowohl in der Arbeitswelt als auch beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen (zum Beispiel im Gesundheitsbereich) verboten. Aus dem Urteil er- geben sich zwei wesentliche Erkenntnisse:
- Sowohl die Ablehnung der Behandlung wegen HIV als auch das Angebot, die Klägerin am Ende des Tages zu behandeln, stellen eine direkte Diskriminierung nach dem Behindertengleich- stellungsgesetz (BGStG) bei einer Dienstleis- tung dar. Menschen mit HIV darf eine zahnärzt- liche Behandlung nicht aufgrund ihrer Infektion verweigert werden. Sie müssen auch keinen Schlusstermin aus vermeintlichen Hygienegrün- den akzeptieren.
- Die Viruslast spielt dabei keine Rolle bei der Beurteilung, ob eine Diskriminierung nach dem BGStG vorliegt, weil es keinen sachlichen Grund gibt, HIV-positive Patient•innen (egal welcher Viruslast) in Bezug auf Hygiene und den Schutz vor einer Übertragung anders zu behandeln als andere Patient•innen.
Leider erleben HIV-positive Menschen immer wieder Diskriminierung bei Gesundheitsdienstleistungen. Dagegen kann man sich wehren, notfalls auch vor Gericht, wie unsere Klientin zeigt.
von Theresa Hammer und Paul Haller
Hier lesen Sie den ganzen Menschenrechts-Bericht 2023 der Plattform Menschenrechte Salzburg.