Der Klagsverband setzt sich laufend für einen besseren Zugang zum Recht für Diskriminierungsbetroffene ein. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift ‚Zivilrecht aktuell‘ (ZAK) analysiert Klagsverband-Juristin Lioba Kasper eine zentrale Hürde bei der Erlangung von Höchstgerichtsentscheidungen zu Diskriminierungen aufgrund der Behinderung und wegen fehlender Barrierefreiheit. Denn obwohl der Gesetzgeber in den letzten Jahren versucht hat, den Weg zum OGH zu erleichtern, fehlt es immer noch an Diskriminierungsfällen, die bis zum Höchstgericht gelangen. Damit fehlt auch wichtige Vorbildjudikatur für die Auslegung anderer Fälle und offene Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGStG) bleiben weiter unbeantwortet.
Bisher wenig OGH-Urteile wegen Streitwert-Regel
Kürzlich erlebte der Klagsverband im Zuge eines Barrierefreiheitsverfahren eine Überraschung. Das Berufungsgericht hatte in der Rechtsmittelbelehrung zu seinem Urteil eine wichtige Ausnahme in der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht angewandt. Nach dieser im Jahr 2022 eingeführten Ausnahmebestimmung soll eigentlich bei Klagen nach dem BGStG grundsätzlich eine Revision an den OGH möglich sein – unabhängig davon, wie hoch der Streitwert ist. Diese Ausnahmebestimmung gilt für zehn Jahre. Davor wurden die meisten Verfahren nämlich wegen ihres zu niedrigen Streitwerts – dem realistisch einforderbaren Schadenersatz bei einer Diskriminierung aufgrund einer Behinderung und/oder von Barrieren – nicht zur Revision an den OGH zugelassen. Das wurde zurecht als Hürde gesehen, um zu wichtiger, höchstgerichtlicher Vorbildjudikatur zu kommen.
Allerdings landeten auch seither fast keine Fälle zur Barrierefreiheit vor dem OGH. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Ausnahme in der ZPO für BGStG-Fälle noch zu unbekannt ist. In ihrem Artikel stellt Lioba Kasper diese Ausnahmebestimmung näher vor und geht auch auf deren weiteren rechtlichen Auswirkungen ein.
Spielt die Höhe des Streitwerts im Fortgang des Verfahrens keine Rolle, hat das bereits Auswirkungen auf das Berufungsverfahren. Das Berufungsgericht muss sich in diesem Fall auch mit einer eventuell erhobenen Tatsachenrüge in einer Berufung beschäftigen. Es muss auf Antrag also überprüfen, ob das Gericht der ersten Instanz die Fakten des konkreten Falls richtig festgestellt hat. Auch das wäre sonst bei Diskriminierungsfällen mit niedrigem Streitwert nur eingeschränkt möglich. Und nicht zuletzt wirkt sich die Ausnahmebestimmung für BGStG-Fälle auch auf den Kostenersatz in der Berufung aus, da unabhängig vom Streitwert höhere Rechtsanwält*innen-Kosten geltend gemacht werden können.