EuGH-Urteil zur dänischen „Anti-Ghetto“-Gesetzgebung im öffentlichen Wohnungswesen veröffentlicht. Eine erste Einschätzung.

Mit lang erwartetem Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) heute im dänischen Vorabentscheidungsverfahren zur Rechtssache C-417/23 eine Entscheidung gefällt, die weitere Anhaltspunkte für einen zeitgemäßen Diskriminierungsschutz vor Rassismus liefert, aber leider auch vieles offen lässt.
Der Fall betrifft die Klagen mehrerer Mieter*innen öffentlicher Familienwohnungen in Dänemark, deren Mietverträge gekündigt wurden oder werden sollten. Dies deshalb, weil sie in Wohngebieten leben, die ein dänisches Gesetz zu so genannten „Transformationsgebieten“ erklärt hatte. Dabei handelt es sich laut dem dänischen Gesetz um Viertel, die von bestimmten definierten sozioökonomischen Kriterien wie einer hohen Arbeitslosigkeit, einer hohen Kriminalitätsrate und geringeren Durchschnittseinkommen geprägt sind und in denen in den letzten fünf Jahren mehr als 50 % „Einwanderer*innen aus nicht-westlichen Ländern und ihre Nachkommen“ wohnten. Damit knüpft die Regelung klar an Kriterien an, die Menschen nach der Staatsangehörigkeit, ihrer Herkunft oder der Herkunft ihrer Eltern unterscheidet, und bringt daher von Rassismus Betroffene in eine besonders vulnerable Situation in Bezug auf ihr existentielles Grundbedürfnis Wohnen.
Der EuGH hatte daher die Frage zu beantworten, ob diese Regelung – und die darauf basierende Kündigung von Mietverhältnissen – gegen die EU-Antirassismus-Richtlinie verstößt und eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit darstellt. Diese Entscheidung wurde nicht nur aufgrund ihrer großen sozialpolitischen Bedeutung mit Spannung erwartet, sondern auch aufgrund der Auswirkungen auf das Antidiskriminierungsrecht und das juristische Verständnis von rassistischen Diskriminierungen.
Mit seinem heute gefällten Urteil hat der EuGH leider keine klare Antwort geliefert. Während die Generalanwältin noch klar von einer unmittelbaren Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit ausging, spielt der EuGH den Ball zurück an das dänische Gericht: Dieses müsse entscheiden, ob „nicht-westlich“ als Bündel aus Staatsangehörigkeit, Geburtsland und Geburtsland der Eltern den Begriff der „Ethnischen Zugehörigkeit“ erfüllt und damit unmittelbar diskriminierend ist. Oder ob die Regelung zumindest zu einer mittelbaren Benachteiligung führt – und falls ja, ob eine, streng zu prüfende, sachliche Rechtfertigung durch von der dänischen Regierung vorgebrachte Allgemeininteressen vorliegt.
Für beide Fälle – unmittelbare und mittelbare Diskriminierung – betont der EuGH aber immerhin klarer als in früheren Entscheidungen, dass eine Diskriminierung auch dann vorliegen kann, wenn Menschen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeiten von einer Schlechterstellung betroffen sind.
Die Ausführungen des EuGH bedürfen noch einer ausführlicheren juristischen Analyse – insbesondere auch in ihrer Bedeutung für den Rechtsschutz in anderen Fällen von rassistischen Politiken. Der Klagsverband und andere Gleichstellungakteur*innen haben sich schon in der Vergangenheit wiederholt kritisch mit der Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf sein zunehmend enges Verständnis von Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit auseinandergesetzt.
Insbesondere bleibt aber abzuwarten, wie die dänischen Gerichte die vom EuGH gelieferten Anhaltspunkte umsetzen. Und damit, ob sie den gesetzlich verankerten Schutz vor jeglicher rassistischen Diskriminierung auch in die Praxis umsetzen.
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