Sachverhalt
Wegen unbezahlter Installateursarbeiten in ihrer Wohnung erließ das Bezirksgericht Meidling im Jahr 1998 gegen die Frau einen Zahlungsbefehl. Dieser belief sich auf ca. 7.440,- €. Dem anschließenden Exekutionsantrag wurde stattgegeben und es wurde die Zwangsversteigerung der Wohnung angeordnet. Die Frau wurde mittels eingeschriebenem Brief, der beim Postamt hinterlegt wurde, von der anberaumten Zwangsversteigerung verständigt. Da sie beim Versteigerungstermin nicht anwesend war, wurde sie schriftlich davon in Kenntnis gesetzt, dass eine Firma den Zuschlag für ca. 59.000,- € erhielt. Im Jahr 2000 erfolgte dann die Zwangsräumung der Wohnung.
Kurz darauf erlitt die Frau einen Nervenzusammenbruch und mußte in einer Klinik behandelt werden. Es kam zur Einleitung eines Sachwalterschaftsverfahrens in dessen Zuge der Frau eine vorläufige Sachwalterin zur Seite gestellt wurde. Einem medizinischem Gutachten zu Folge litt die Frau bereits seit 1994 an einer paranoiden Psychose und konnte daher keine rationalen Entscheidungen, insbesondere in Bezug auf häusliche Angelegenheiten treffen.
Rechtsweg vor nationalen Gerichten
Die Sachwalterin wurde nochmals vom Bezirksgericht Meidling über den Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren verständigt. Vertreten durch ihre Sachwalterin legte die Frau erfolglos Rekurs ein und führte in der Begründung an, dass sie weder zum Zeitpunkt der Erlassung des Zahlungsbefehls noch bei Anordnung der Zwangsversteigerung prozessfähig war.
Das daraufhin angerufene Landesgericht für Zivilsachen Wien setzte das Verfahren bis zur Klärung der Frage durch das Bezirksgericht Meidling aus, ob die Frau zum Zeitpunkt der Zwangsversteigerung prozessfähig war. Mit Beschluss wurde dann festgestellt, dass Zahlungsbefehle im Zeitraum von 1998 bis 1999 mangels Prozessfähigkeit nicht vollstreckbar waren. Trotz dieses Beschlusses bestand nach Ansicht des Landesgerichts für Zivilsachen Wien als auch nach Ansicht des im Wege des außerordentlichen Revisionsrekures angerufenen Obersten Gerichtshofes (OGH) aufgrund der absoluten Einspruchsfrist von § 187 Abs. 1 Exekutionsordnung (EO) keine Möglichkeit, die Zwangsversteigerung anzufechten.
Entscheidung des EGMR
Entgegen dem Willen und trotz Intervention ihrer Sachwalterin rief die Frau den EGMR an und behauptete eine Verletzung von Art. 1 1. Protokoll EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums). Die Ernennung einer Sachwalterin dient dem Schutz der betroffenen Person und hindert diese an der Möglichkeit, gültige Rechtskontakte zu pflegen oder ein gerichtliches Verfahren zu beanspruchen.
Im Verfahren vor dem EGMR sieht dieser aber keine Notwendigkeit für die Vertretung einer geschäftsunfähigen Person durch einen Sachwalter / eine Sachwalterin und gestattet der Frau im eigenen Namen ein Beschwerdeverfahren zu führen.
Neben dem geltend gemachten Art. 1 1. Protokoll EMRK prüfte der EGMR auch eine mögliche Verletzung von Art. 8 (Recht auf Achtung der Wohnung), Art. 6 Abs. 1 (Recht auf ein faires Verfahren) und und Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz).
In seinem Urteil vom 16. Juli 2009 stellte der EGMR einstimmig die Verletzung des Art. 8 und Art. 1 1. Protokoll EMRK fest und führte aus, dass der geschäftsunfähigen Frau ihre Wohnung entzogen wurde, ohne jede Möglichkeit aktiv am Verfahren teilzunehmen. Auch der Schutz des gutgläübigen Erwerbers und das allgemeine Interesse an der Wahrung der Rechtssicherheit ändern nach Ansicht des EGMR etwas an dieser Tatsache. Ohne eine weitere detaillierte Überprüfung sah der EGMR auch die Art. 6 und 13 EMRK verletzt. Zudem wurde der Frau eine immaterieller Schadenersatz in der Höhe von 30.000,- € und 200,- € für Kosten und Auslagen zugesprochen.
Kommentar
Nicht nur, dass der Frau die Individualbeschwerde durch den EGMR trotz Geschäftsunfähigkeit ermöglicht wurde, auch, dass der EGMR von seiner Möglichkeit Gebrauch machte, an die behaupteten Konventionsverletzungen nicht gebunden zu sein, ist hier unbedingt positiv hervorzuheben.
Gänzlich unverständlich ist die Intervention der Sachwalterin beim EGMR. Diese ist wohl nur mit finanziellen Interessen zu erklären und entfernt sich weit vom Sinn und Zweck der Sachwalterschaft, die die Frau eigentlich vor Nachteilen schützen und ihr den Zugang zu allen Rechtsschutzmöglichkten eröffnen soll.
Auch wenn der Schadenersatz von 30.000,- € hoch anmutet, so haben zwei der beteiligten EGMR-Richter geäußert, dass sie den Betrag zu niedrig empfinden und der Frau im konkreten Fall mehr Schadenersatz zugesprochen hätten.