Zum Anlassfall: Die italienische Beschwerdeführerin hat zwei Kinder, die 2001-2002 eine staatliche Schule besuchten, in der in allen Räumen Kreuze hingen. Sie beschwerte sich unter Hinweis auf ein Urteil, dass Kreuze in Räumen, die für staatliche Wahlen verwendet werden, für unzulässig erklärte. Die zuständige Schulbehörde entschied die Kreuze in den Klassenzimmern zu belassen. Ein Verwaltungsgericht und der Consiglio des Stato wiesen die Beschwerde zurück, da sie im Kreuz ein staatliches Symbol und nicht primär ein religiöses sahen und diese durch Rechtsakte aus den Jahren 1924 und 1928 verpflichtend vorgesehen seien. Daraufhin wandete sich die Mutter an der EGMR.
Dieser entschied – im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung – dass die Religionsfreiheit auch die Freiheit von Religion umfasst. Besonders beim verpflichtenden Schulbesuch gibt es keine Möglichkeit, diesen Symbolen zu entgehen, weshalb Unterrichtsräume von Kreuzen frei sein sollten.
Weiters sprach der EGMR aus, dass er keine Gründe erkennen kann, warum verpflichtende Gestaltung von Klassenräumen mit Kreuzen eine „in einer demokratischen gesellschaft notwendige Maßnahme…für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ sein sollten.
Der EGMR sah in der verpflichtenden Ausgestaltung von Klassenzimmern mit Kreuzen eine Verletzung von Art 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und des Art 2 des 1. Zusatzprotokolls. Bisher liegt die Entscheidung nur in französischer Sprache vor. Es gibt aber eine englische Presseaussendung.
Kommentar
Entgegen vielen aufgebrachten OTS-Aussendungen – etwa von Bischof Schönborn – ist die Entscheidung zu begrüßen und war auch so zu erwarten. Die Religionsfreiheit der EMRK garantiert allen Menschen die freie Ausübung ihrer Religion – oder auch die öffentliche Ablehnung religiöser Überzeugungen. Der Staat hat diese Freiheit aller Menschen zu schützen – und muss daher selbst neutral bleiben. Ein Keuz in der Klasse einer staatlichen Schule verletzt daher die Religionsfreiheit der Menschen, die zwangsweise und gegen ihren Willen diesem Symbol ausgesetzt sind.
Dieses Urteil ist natürlich auch analog auf andere religiöse Symbole in Schulen anzuwenden.