Der Entwurf hat unerwartet viele positive und negative Reaktionen hervorgerufen. Dieser Artikel stellt die Eckpunkte des Entwurfs dar, vergleicht ihn mit den bestehenden Richtlinien und setzt sich mit einigen besonders negativen Reaktionen auseinander.
Die wichtigsten Punkte im Überblick
Im Kern schließt der Entwurf eine Lücke im europarechtlichen Diskriminierungsschutz. Während Diskriminierung in der Arbeitswelt aufgrund aller so genannten „Artikel-13-Gründe“ (Geschlecht, ethnische Herkunft, Religion und Weltanschauung, Alter, Behinderung und sexuelle Orientierung) verboten ist, gilt das beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen nur für Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der ethnischen Herkunft.
Das Verbot von Diskriminierung aufgrund einer Behinderung, der sexuellen Orientierung, des Alters sowie der Religion und Weltanschauung außerhalb der Arbeitswelt ist also jedenfalls ein Fortschritt. Österreich hat mit dem Behindertengleichstellungsgesetz bereits ein Diskriminierungsverbot aufgrund der Behinderung eingeführt. Egal wie der Entwurf nach den Verhandlungen in Brüssel aussehen wird – Österreich wird wohl nur im Detail zusätzliche Regelungen einführen müssen.
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es?
Der Entwurf ist weitgehend an den bisherigen Antidiskriminierungs-Richtlinien angelehnt – konkret der Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG (kurz Antirassismus-RL) und der Gender-Güter-Dienstleistungs-Richtlinie 2004/113/EG (kurz: Gender-Richtlinie).
Die rechtlichen Kernbereiche sind in allen drei Richtlinien gleich geregelt. Sie umfassen:
- Definitionen der einzelnen Formen von Diskriminierung,
- die Möglichkeit positiver Maßnahmen,
- Regelungen zum Rechtsschutz, zur Beweislastverteilung, zum Viktimisierungs-(Benachteiligungs)verbots, zur Information über die neuen Rechte, zur Einhaltung der in der Richtlinie geschaffenen Rechte und zu den Sanktionen sowie
- die Berichtspflicht der Mitgliedstaaten zur Umsetzung an die Europäische Kommission.
Der Anwendungsbereich ist dem der Antirassismus-RL angepasst – und damit weiter als bei der Gender-RL, wo Medien und Bildung ausgenommen sind.
Wie schon die Gender-RL sieht der Entwurf auch einen „Dialog mit einschlägigen Interessensgruppen“ vor. Die Antirassismus-RL hatt noch einen sozialen Dialog und einen NGO-Dialog enthalten.
Diskussion einiger Kritikpunkte
Schließlich sollen noch einige Kritikpunkte am Entwurf diskutiert werden, die am pointiertesten von Klaus Voget, dem Präsidenten der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR), formuliert werden. Seine Argumente können detaillierter – in englischer Sprache – in einer Stellungnahme des European Disability Forum nachgelesen werden. Dabei soll es nur um eine juristische Einschätzung gehen.
- Der Entwurf widerspricht zum Teil der UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen: Die Rechte der Konvention muss Österreich unabhängig vom EU-Recht anwendbar machen. Außerdem können diese nicht näher genannten – Defizite im Rahmen der Kompetenzen der EU in den Verhandlungen ergänzt werden. Der Entwurf ist ein Startpunkt, kein Endergebnis!
- Der Entwurf enthält neue und völlig undefinierte Rechtsbegriffe wie etwa „unverhältnismäßige Belastung“: Dieser Begriff wurde bereits in der Beschäftigungs-Rahmen-Richtlinie 2000/78/EG verwendet und ist deshalb nicht neu. Grundsätzlich sind AnbieterInnen von Gütern und Dienstleistungen zur „angemessenen Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“ verpflichtet. Verweigern sie diese, handeln sie diskriminierend. Keine Diskriminierung liegt vor, wenn eine angemessene Vorkehrung eine unverhältnismäßige Belastung darstellt. Die konkreten Grenzwerte sind wohl sinvoll auf nationaler Ebene festzulegen. Solche existieren etwa bereits im § 19 Abs 5 und 6 des Behindertengleichstellungsgesetzes.
- Manche Bestimmungen schmälern das Recht auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung: Art 6 des Entwurfs besagt, dass die Umsezung NICHT der Absenkung eines bereits bestehenden Schutzniveaus dienen darf. Das gilt natürlich nur im Anwendungsbereich des Entwurfs.
- Der Text widerspricht sich zum Teil selbst: Dieser Vorwurf wird durch kein Beispiel gestützt und entzieht sich daher einer rationalen Diskussion.
- Für behinderte Menschen wichtige Angelegenheiten sind in der Vorlage überhaupt ausgeklammert: Für einige der genannten Beispiele (Ressourcen für Wahlen) gibt es keine europarechtliche Grundlage im EG-Vertrag. Wie oben gilt: Es darf zu KEINER Absenkung eines bereits bestehenden Schutzniveaus – etwa bei Transportmitteln und –infrastruktur oder Informations- und Kommunikationstechnologie – kommen.
Die politische Einschätzung (horizontale Richtlinie oder Richtlinien für getrennte alle Gründe; inwieweit wurden die Forderungen behinderter Menschen ernst genommen; wurden die von Behindertenorganisationen vorgebrachten Probleme verstanden) steht natürlich auf einem anderen Blatt.