Zum Anlassfall
Ein englisches Arbeitsgericht, das Employment Tribunal London South, hat die Klage einer Sekretärin zu entscheiden, die sich diskriminiert fühlt, da sie einen behinderten Sohn zu versorgen und pflegen hat.
Das Gericht stellte an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) vier Vorabentscheidungsfragen:
- Schützt die Richtlinie 2000/78 im Rahmen des Verbots der Diskriminierung wegen einer Behinderung nur Menschen vor unmittelbarer Diskriminierung und Belästigungen, die selbst eine Behinderung haben?
- Falls die erste Frage verneint wird, schützt die Richtlinie 2000/78 auch Arbeitnehmer, die zwar nicht selbst eine Behinderung haben, aber wegen ihrer Beziehung zu einem Menschen mit Behinderung eine weniger günstige Behandlung erfahren oder belästigt werden?
- Wenn ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer weniger günstig behandelt, als er andere Arbeitnehmer behandelt oder behandeln würde, und feststeht, dass der Grund für die Behandlung des Arbeitnehmers darin liegt, dass dieser einen Sohn mit Behinderung hat, den er betreut, stellt diese Behandlung dann eine unmittelbare Diskriminierung dar, die den durch die Richtlinie 2000/78 festgelegten Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt?
- Wenn ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer belästigt und feststeht, dass der Grund für die Behandlung des Arbeitnehmers darin liegt, dass er einen Sohn mit Behinderung hat, den er betreut, stellt diese Belästigung dann eine Verletzung des durch die Richtlinie 2000/78 festgelegten Grundsatzes der Gleichbehandlung dar?
Der EuGH stellte klar, dass das „Verbot der unmittelbaren Diskriminierung nicht auf Personen beschränkt ist, die selbst behindert sind. Auch ArbeitnehmerInnen, die diskriminiert oder belästigt werden, da sie für einen behinderten Angehörigen Versorgungspflichten übernehmen, können sich auf das Diskriminierungsverbot berufen. Damit ist entschieden, die Beschäftigungsrahmen-Richtlinie (RL) einen sogenannten „Angehörigenschutz“ (protection from discrimination by assciation) entfaltet.
Konsequenzen des Urteils
Das Behinderteneinstellungsgesetz und das Behindertengleichstellungsgesetz enthalten bereits bestimmungen, die einen – wenngleich beschränkten – Angehörigenschutz vorsehen. Dieses Urteil wird sich aber analog auch auf die anderen in der Beschäftigungsrahmen-RL gereglten Diskriminierungssgründe und die Antirassismus-RL anwenden lassen.
Gerade rassistische Diskriminierung betrifft häufig Angehörige. So berichten Beratungsstellen immer wieder, dass Wohnungen nicht vermietet werden, wenn Angehörige der Mieterin/der Mieters etwa schwarze Hautfarbe haben.
Das Gleichbehandlungsgesetz wird in Zukunft in diesem Sinn auszulegen sein. Aus Transparenzgründen sollte diese Interpretation des Anwendungsbereichs aber ausdrücklich im Gesetz verankert werden. Damit hat der EuGH innerhalb einer Woche bereits ein zweites richtungsweisendes Urteil zum Diskriminierungsschutz veröffentlicht. Beim ersten Urteil ging es um die Frage, ob Diskriminierung nur vorliegt, wenn eine konkrete Person davon betroffen ist. Der EuGH hat diese Frage verneint.