Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied – nicht zum ersten Mal – dass Opfer schwerer Straftaten ein Recht auf Verfolgung der TäterInnen haben.
Die Fakten
Im Jahr 1999 wurde der Beschwerdeführer, ein kroatischer Rom, von zwei Männern in Zagreb zusammengeschlagen. Die von von PassantInnen alarmierte Polizei, konnte die Angreifer nicht finden. Er erlitt Rippenbrüche und wurde eine Woche im Spital behandelt. Später wurde noch eine posttraumatische Stress Störung diagnostiziert, die sich in Depressionen, Ängstlichkeit, Panikattacken, Albträumen und Schlaflosigkeit manifestierte.
Am 15. Juli 1999 brachte seine Anwältin eine Anzeige gegen unbekannte Täter ein. Am 31. August 1999 informierte die Polizei die Anwältin, dass die Täter nicht identifiziert werden konnten. Am 2. September berichtete die Anwältin dem Innenminister und verlangte entschiedene polizeiliche Maßnahmen. Erst am 29. September 1999 befragte die Polizei den Mann über die Geschehnisse. Dieser konnte die Täter aber aufgrund seiner Kurzsichtigkeit nicht beschreiben. Im März 2000 informierte die Anwältin die Staatsanwaltschaft, dass die beiden Täter mehrmals Roma angegriffen hätten und zwei ZeugInnen eines anderen Vorfalls die Täter identifizieren könnten. Schließlich informierte die Anwältin die Polizei über einen Bericht des kroatischen Rundfunksenders „HRT“, in dem ein Skinhead über seine Überfälle auf Roma erzählte. Die Polizei befragte zwar die Journalistin, die den Beitrag gestaltet hatte, diese verweigerte aber unter Verweis auf das Redaktionsgeheimnis die Nennung des Interviewpartners. Da die Verhandlungen auch im Laufe des folgenden Jahres keine konkreten Ergebnisse brachten, rief der Beschwerdeführer im April 2006 den kroatischen Verfassungsgerichtshof an, der sich aber für unzuständig erklärte. Daraufhin brachte die Anwältin eine Beschwerde beim EGMR an. Auch sieben Jahre nach der Tat wurde noch keine Anklage erhoben.
Das Urteil des EGMR
Der EGMR sprach aus, dass die Schwere des Verbrechens (mehrere gebrochene Rippen, lange Behandlung) eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Artikel 3 MRK (Europäische Menschenrechtskonvention) darstellt. Die Staaten sind verpflichtet, ihre BürgerInnenauch vor Misshandlung durch Private zu schützen, dazu zähle auch die Strafverfolgung von GewalttäterInnen.
Insbesondere bemängelte der EGMR, dass die Strafverfolgungsbehörden nach dem Mediengesetz 2004 nicht einen gerichtlichen Antrag auf Bekanntgabe des Informanten der Journalistin gestellt hatten. Da es sich bei der Tat um eine eindeutige rassistisch motivierte gehandelt habe, wäre ein solcher Antrag zu bewilligen gewesen.
Fazit
Das Urteil ist in seiner Klarheit sehr erfreulich und betont ein weiteres Mal, dass die MRK den Opfern schwerer Straftaten ein Recht auf zumutbare und erlaubte Maßnahmen zur Ausforschung der TäterInnen durch die staatlichen Behörden eröffnet. Ebenso erfreulich ist die Zuerkennung des immateriellen Schadenersatzes von 8.000,- Euro und der Ersatz der Verfahrenskosten von 6.000,- Euro. Das Urteil hat damit Signalwirkung für alle Mitgliedstaaten des Europarats, in denen ethnische und andere Gruppen bei der Durchsetzung Ihrer verfassungsmäßigen Rechte von den staatlichen Behörden behindert oder nicht ausreichend unterstützt werden.
Im Einzelfall bleibt ein bitterer Beigeschmack: Das Urteil wurde 8 Jahre nach der Tat erlassen und die Täter sind noch immer nicht gefasst.
Das Urteil können Sie – in englischer Sprache – hier herunterladen.