Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat kürzlich ein wegweisendes Urteil zum Verhältnis von SexarbeiterInnen und KundInnen gefällt (3 Ob45/12g). Der entscheidende Absatz lautet: „Die Vereinbarung zwischen einer Prostituierten und ihrem Kunden ist nicht generell sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB. Ein klagbarer Anspruch auf Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung besteht nicht. Wurde die sexuelle Handlung gegen vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen oder geduldet, so begründet diese Vereinbarung eine klagbare Entgeltforderung. Dieser Grundsatz gilt auch im Verhältnis zwischen Bordellbetreibern und Kunden.“
In den bisherigen Medienberichten wurde vor allem der Entfall der Sittenwidrigkeit – und damit die Möglichkeit, zivilrechtliche Verträge über sexuelle Dienstleistungen abzuschließen – betont.
Der zweite Aspekt ist aber ebenso wichtig und stärkt die rechtliche Stellung von SexarbeiterInnen. Der OGH hat vom in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Grundrecht auf Achtung sexueller Selbstbestimmung abgeleitet, dass die Bereitschaft zu sexuellen Handlungen widerruflich bleiben muss. Das bedeutet, dass bereits vereinbarte sexuelle Handlungen verweigert oder jederzeit abgebrochen werden dürfen.
Was bedeutet das Urteil für die gebotene Neuordnung der Sexarbeit?
In erster Linie ist das Urteil ein wichtiges Zeichen für eine gesellschaftliche Neubewertung sexueller Dienstleistungen. Der Schutz von SexarbeiterInnen wird sowohl bezüglich der Achtung der Menschenwürde (Erlaubnis, vereinbarte sexuelle Dienstleistungen jederzeit abzubrechen) und der zivilrechtlichen Klagbarkeit des vereinbarten Entgelts verbessert.
Auch die – bisher rechtlich ungeregelten – Tätigkeiten, die unter „Sexualassistenz“ zusammengefasst werden, erhalten durch dieses Urteil einen rechtlichen Rahmen und können mit erhöhter Rechtssicherheit ausgeübt werden.
Für die Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse zur Erbringung sexueller Dienstleistungen abzuschließen, wird durch das Urteil aber eine weitere Hürde errichtet. Wenn die Dienstleistung verweigert oder abgebrochen werden darf, läuft die typische Weisungsbefugnis von ArbeitgeberInnen weitgehend ins Leere. Schon bisher waren Arbeitsverhältnisse nicht möglich, da sich die ArbeitnehmerInnen der Zuhälterei schuldig gemacht hätten.
Die derzeitige Regelungskompetenz der Länder macht ein bundesweit einheitliches Berufsrecht unmöglich. Für ein solches wäre aber eine Verfassungsbestimmung nötig.