Die Diskussion vom 17. Juni 2021 jetzt zum Nachsehen auf YouTube.
Am 17. Juni 2021 hat der Klagsverband zu einer neuen Ausgabe von „Der Klagsverband diskutiert“ eingeladen. Das Thema des Abends war Sprache und Diskirminierung. Auf Zoom haben Selma Mujić und Lukas Huber mit Volker Frey darüber geredet, welche Möglichkeiten Sprache, die eigentlich unsere Verbindung zu anderen Menschen ist, bietet, um Menschen strukturell zu diskriminieren.
Wir greifen zwei Aspekte davon heraus und sprechen mit unseren Gästen über Erfahrungen im Alltag von Menschen, die in Österreichischer Gebärdensprache (ÖGS) kommunizieren und über Erfahrungen aus der Arbeit mit bildungsbenachteiligten Migrantinnen*.
Nur auf den ersten Blick sprechen wir hier aber über zwei verschiedene Themen. Das Verbindende liegt in gesellschaftlichen Strukturen, die sowohl gebärdensprachige Menschen als auch bildungsbenachteiligte Migrantinnen* von Bildung ausschließen, ihnen somit den gleichberechtigten Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe verwehren und soziale Ungleichheiten (re-)produzieren.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Daniela Almer.
Gebärdensprachdolmetsch: Elke Schaumberger und Theresa Kober, DolmetschServicePlus
Aufnahme einer Zoom-Veranstaltung vom 17. Juni 2021
Untertitel: Anja Pfneisel
Länge: 1:27:01
So haben unsere Gäste am virtuellen Podium über ihre Erfahrungen gesprochen:
Kritische Bildungsarbeit
Selma Mujić
Bei den Basisbildungs- und Deutschkursen von Lefö geht es um kritische Bildungsarbeit. Das heißt, gesellschaftliche Machtungleichheit und Ausschlussmechanismen werden kritisch hinterfragt. Der Ansatz istlLerner*innenzentriert, partizipativ, feministisch, intersektionell. Lefö unterstützt widerständige Bildung in Anerkennung unserer Gesellschaft als Migrationsgesellschaft. Statt Mehrsprachigkeit herrscht jedoch Deutschpflicht.
Eine Kursteilnehmer*in hat erzählt, ihre Tochter darf nicht zur Deutsch-Matura antreten, weil ihr zu geringe Deutschkenntnisse attestiert wurden. Nachdem die Schülerin ein halbes Jahr warten musste, konnte sie antreten und sie hat die Deutschmatura mit einem Gut bestanden. So schlecht können ihre Deutschkenntnisse also nicht gewesen sein.
Bemerkung aus dem Publikum
Eine Teilnehmer*in hat darauf hingewiesen, dass auf Sprachkenntnisse von Migrant*innen aber oft zurückgegriffen wird, wenn es darum geht, für jemand anderen unentgeltlich zu dolmetschen.
Österreichische Gebärdensprache – ÖGS
Lukas Huber
Seit 2005 ist die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) in der österreichischen Verfassung als Minderheitensprache anerkannt, gleichgestellt mit der deutschen Lautsprache. Derzeit leben in Österreich rund 10.000 Menschen, die ÖGS als Muttersprache haben.
Diskriminierung passiert in vielen Bereichen, zB im Bildungsbereich. Derzeit haben wir in Österreich nur eine einzige schwerhörige Elementarpädagogin, die mit ÖGS aufgewachsen ist. In den Richtlinien für die Aufnahme zur Ausbildung als Elementarpädagogin steht nämlich, dass musikalische Wahrnehmung verlangt wird. Das kann eine gehörlose Person zwar nicht abdecken, aber es ist nur einer von vielen Punkten und damit wird eine ganze Gruppe von Personen ausgeschlossen und gehörlosen Kindern wird die Möglichkeit genommen, im Kindergarten Pädagoginnen* als Peers zu erleben.
Dramatisch ist die Situation auch in den audiovisuellen Medien: Im ORF werden rund zwei bis vier Prozent der Sendungen mit ÖGS ausgestrahlt, im Privatfernsehen null, da gibt es auch keine Untertitel.
Vielen Eltern wird nach der Geburt eines höreingeschränkten Kindes sofort geraten, ein CI (Cochlea Implantat) einsetzen zu lassen, zur Gebärdensprache werden sie nicht beraten.
Wenn in einem Haus ein Feuer ausbricht und ich den Alarm nicht höre, kann das lebensgesfährlich sein. Hier brauchen wir visuelle Signale und Architektur, die sich am Mehrsinneprinzip orientiert.
Verbindungen und Strukturen
Volker Frey
Zu allem was schon gesagt wurde, will ich noch ergänzen, dass Sprache auch ausschließend sein kann, weil sie zu kompliziert ist zB in der Medizin oder im Recht. Hier hilft einfache Sprache, die nicht nur für Menschen mit Lernschwierigkeiten hilfreich ist.
Durch die Digitalisierung haben wir mehr schriftliche Kommunikation, Lesen und Schreiben wird immer wichtiger, das schließt auch viele Leute aus.
Wenn Deutschkenntnisse als Ausschlussmerkmal herangezogen werden, dann geht das weit über strukturelle Diskriminierung hinaus, das sehen wir bei der OÖ Wohnbeihilfe, gegen die wir schon sehr lange rechtlich vorgehen. Hier ist der Ausschluss gewollt, das ist bei struktureller Diskriminierung nicht unbedingt so, das wird es nicht mitbedacht.
ÖGS ist eine autochthone Minderheitensprache, die Unterscheidung in mehr oder weniger anerkannte Sprachen ist auch eine Form von Diskriminierung.
Die Sprachen der großen Migrant_innengruppen in Österreich sind auch kaum anerkannt und man kann in diesen Sprachen auch keine Matura ablegen.
Rechtlich ist strukturelle Diskriminierung schwer fassbar, weil sie oft nicht einer Person zuzuordnen ist, das österreichische Antidiskriminierungsrecht aber immer eine Einzelperson braucht, um rechtlich vorgehen zu können.
Fragen aus dem Zoom-Chat
Frage: Das Recht auf Gebärdensprache wurde bereits genannt, aber wichtig wäre auch ein Recht auf Mehrsprachigkeit. Beides gehört für mich zusammen.
Lukas Huber
Für Menschen, die ÖGS als Muttersprache haben, wäre ein rechtlicher Rahmen sehr wichtig. Die Verankerung in der Verfassung reicht nicht, es braucht auch eine Anerkennung als sprachliche Minderheit oder Volksgruppe mit allen damit verbundenen Rechten.
Volker Frey
In der UN-Behindertenrechtskonvention ist ja das Mehrsinneprinzip erwähnt und das bedeutet für mich auch ein Mehrsprachenprinzip. Wenn ich Informationen zum Hören habe, muss ich sie für alle, die nicht hören auch visuell zur Verfügung stellen. Wenn das ein Menschenrecht ist, müsste es Mehrsprachigkeit auch sein.