Sachverhalt:
Mitte der Siebziger Jahre wurde bei dem Kläger Hr. Stanev, einem bulgarischen Staatsbürger, Schizophrenie diagnostiziert. Ab dem Zeitpunkt in dem Hr. Stanev seine Geschäftsfähigkeit verlor, wurden zahlreiche Entscheidungen ohne Zustimmung des Klägers getroffen und seine Selbstbestimmung maßgebend eingeschränkt. Nachdem das „Bezirksgericht Russe“ die Geschäftsfähigkeit des Hr. Stanev auf Antrag seiner Familie teilweise aberkannt hatte und ihm eine Sachwalterin beigestellt wurde, wurde er von 2002 bis 2009 in einem Pflegeheim für Menschen mit psychischen Krankheiten eingeliefert.
In diesem Pflegeheim musste er unter außerordentlich schlechten Bedingungen leben. Die Toiletten und Waschräumen waren in miserablem hygienischen Zustand, das Essen war unausgewogen und kaum nahrhaft, es wurde unzureichend geheizt und generell wurde mit den Bewohnern und deren Besitz schlecht umgegangen.
Obwohl er mehrmals versuchte, von seiner Sachwalterschaft befreit zu werden und mehrmals beantragte aus dem Pflegheim entlassen zu werden, hatte er keine Chance sich mit Hilfe der bulgarischen Gesetze gegen die staatlichen Institutionen zur Wehr zu setzen. Einerseits, weil die nationalen Gesetze nur unzureichende Regelungen vorsahen, andererseits, weil bestimmte Gesetze nicht normkonform ausgeführt wurden.
Rechtliche Beurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR):
Dieser Sachverhalt beinhaltet eine Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen, über welche der EGMR in der Sache selbst entschied.
Der EGMR entschied in dem Urteil (36760/06) vom 17. Jänner 2012, dass das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Artikel 5 EMRK) durch die Einlieferung, den Aufenthalt und die Unterbringung in dem Pflegeheim verletzt wurden. Er wurde in das Pflegeheim eingeliefert ohne den, vom Staat bereitgestellten, Sachwalter gesehen zu haben und auch ohne vorheriger Verständigung, geschweige denn, Einwilligung. Seine Ausflüge und Urlaube wurden genau festgelegt und überwacht.
Auch wurde die Schizophrenie als Grund für die Aberkennung der Geschäftsfähigkeit und die Einlieferung in das Pflegeheim nicht mehr untersucht, und das Gericht bezweifelte, dass der Umstand noch während des Aufenthaltes im Pflegeheim weiter bestanden hatte. Außerdem hatte der Kläger keine Möglichkeit die Untersuchung seiner rechtmäßigen Unterbringung in dem Heim bei Gericht zu beantragen.
Das nationale Gericht sieht keine Entschädigung für den Kläger vor, da Hr. Stanev zu Recht in das Pflegeheim eingeliefert wurde und der „State Responsibility of Damage Act 1988“ dafür keine Entschädigung vorsieht. Der EGMR sah darin eine Verletzung des Rechts auf Entschädigung (Artikel 5 Abs 5 EMRK).
Der EGMR stimmte weiters den Behauptungen des Klägers zu, dass er, wegen den sehr schlechten Lebensbedingungen in dem Pflegeheim, einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterzogen worden sei (Artikel 3 EMRK). Außerdem bekam er den Ersatz des verursachten immateriellen Schaden laut Artikel 13 EMRK zugesprochen.
Da es dem Kläger nie möglich war seine Geschäftsfähigkeit wiederherzustellen, und daher auch keine Möglichkeit bekam vor ein nationales Gericht zu treten, entschied der EGMR, dass das Recht auf sein Gehör vor einem Gericht verletzt wurde (Artikel 6 EMRK). Auch der freie Zugang ist nicht gegeben, da er nur mit Hilfe seines Sachwalters ein gerichtliches Verfahren anstreben konnte.
Hr. Stanev behauptete außerdem eine Verletzung seines Rechtes auf Privat- und Familienleben (Artikel 8 EMRK), da er keine Möglichkeiten bekam außerhalb des Pflegeheims, mit Menschen die er selbst ausgesucht hatte, soziale Beziehungen zu entwickeln oder an solchen teil zu haben. Der EGMR entschied, dass die Artikel 3, 5, 6, und 13 der EMRK dieses Problem schon behandelt hatten und lehnte die weitere Überprüfung dieser Behauptung ab.
Neben einem zu zahlenden Schadenersatz in Höhe von 15.000 Euro, wurde die bulgarische Regierung aufgefordert ihre Gesetze bezüglich des Rechts auf ein faires Verfahren zu ändern und den Aufbau eines effektiven Zugangs zu diesem Recht ins Auge zu fassen. Dadurch soll die Umsetzung des Artikels 6 EMRK erreicht werden.
Diskussionen in Österreich:
In den §§ 268 ff ABGB wird in Österreich die Sachwalterschaft geregelt. Die Intensität der Fremdbestimmung und das Eingreifen in die Geschäfte soll der Art der Angelegenheit und dem Grad der Selbstständigkeit des Betroffenen angepasst werden. Die Aufgaben, welche der Sachwalter zu regeln hat, sollen von dem Gericht nach den individuellen Bedürfnissen der Person bestimmt werden.
Das Thema der Sachwalterschaft wird derzeit stark diskutiert und in Frage gestellt.
Der Monitoringausschuss hat im Dezember 2011 eine Stellungnahme über die starke Fremdbestimmung der Menschen durch die Sachwalterschaft verfasst und tritt für eine unterstützte Entscheidungsfindung ein. Diese Alternative soll den Betroffenen helfen soziale Beziehungen aufzubauen und dadurch ihre Selbstständigkeit zu stärken. Außerdem tritt der Monitoringausschuss für den Gebrauch alternativer Wege ein.
Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung soll die Inklusion in allen Lebensbereichen fördern und den Weg zu einer chancengleichen Gesellschaft unterstützen.
Hervorgehoben wir das Recht auf „gleiche Anerkennung vor dem Recht“, das im Artikel 12 des Übereinkommens verankert ist. Wichtig sind die Erreichung eines gleichberechtigten Zugangs zu Gerechtigkeit und die gleiche Behandlung vor Gericht. Dadurch können Personen auch ohne ihren Sachwalter selbst an Gerichte herantreten. Entscheidend wird auch für Österreich sein, gelindere Mittel als die Sachwalterschaft als Alternative zu prüfen.