Damit sollen Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen verhindert oder beseitigt und die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglicht werden.
Anhand eines Ländervergleichs zwischen den USA und Österreich wurde das brennende Thema am 27. September 2006 im Zukunftszentrum Tirol beleuchtet und diskutiert. Die Informations- und Diskussionsveranstaltung war Teil der Reihe „Dialoge zu Selbstbestimmung und Chancengleichheit“.
Die Veranstaltung wurde eingeleitet mit Impulsreferaten von Bill Bruckner, langjähriges Mitglied der US-amerikanischen Behindertenbewegung, sowie von Martin Ladstätter, Gleichstellungsexperte vom Verein BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben, Wien. Im Anschluss fand ein offener Dialog und eine rege Diskussion zwischen den Experten, prominenten Tiroler Journalistinnen und Journalisten (Anita Heubacher – Tiroler Tageszeitung, Andrea Sommerauer – Bezirksblätter Tirol, Hannes Schlosser – Der Standard, Erhard Berger – ORF Landesstudio Tirol) und dem Publikum statt.
„Das Interesse an der Veranstaltung war sehr groß, was die Teilnahme von mehr als 100 Personen bestätigte. Als Anlaufstelle für Menschen mit Behinderung die ihre Rechte durchzusetzen und gegen Diskriminierung vorgehen wollen, war unsere Veranstaltung ein weiterer wichtiger Schritt. In der Diskussion wurde klar, dass wir erst am Anfang stehen und noch einen langen Weg vor uns haben“, erklärt Gerhard Walter, Pressesprecher vom Verein Selbstbestimmt Leben Innsbruck.
„lediglich einen Schadensersatzanspruch“
Wenn auch die USA, was die soziale Absicherung anbelangt, viel von Österreich lernen könnten, sind sie was die Gleichstellung behinderter Menschen betrifft Vorreiter und weltweit führend.
„In Österreich wurden dem neuen Gesetz – von einem guten Vorschlag ausgehend – an dem die österreichische Selbstbestimmt Leben Bewegung maßgebend beteiligt war – im weiteren Gesetzwerdungsprozess alle Zähne gezogen. Was übrig blieb ist, ein schwaches Regelwerk, ohne ausreichende Rechtssicherheit für die Betroffenen, das sich nur auf die Bundeskompetenzen bezieht und wesentliche Lebensbereiche, die in die Kompetenz der Länder und Gemeinden fallen – wie z.B. Baugesetze oder Bildung – ignoriert. Verantwortlich für diesen Missstand ist vor allem die Blockadepolitik der Bundesländer und des Wirtschaftsministeriums“, informiert Gleichstellungsexperte Martin Ladstätter.
Wird in Österreich auf Grundlage des Gleichstellungsgesetzes eine Diskriminierung festgestellt, hat die betroffene Person lediglich einen Schadensersatzanspruch in Form einer kleinen Geldleistung, nicht jedoch Anspruch auf die Beseitigung bzw. Unterlassung der Diskriminierung. Bekommt z.B. eine Rollstuhlfahrerin Recht, dass die Stufen bei einem neu errichteten Gebäude eine Diskriminierung darstellen, weil sie nicht in das Gebäude rollen kann, hat sie nur einen Schadenersatzanspruch in Form von ein paar Euro, nicht jedoch Anspruch auf die Beseitigung der Stufen. Außerdem ist nirgends definiert, was man unter Barrierefreiheit versteht.
Auf Grund der mangelnden Rechtssicherheit und der hohen Kosten ist das Prozessrisiko für eine Einzelperson enorm groß. Beweis dafür ist die Tatsache, dass im Laufe der letzten 9 Monate angeblich erst 2 Prozesse anhängig sind. „Ohne die Unterstützung einer starken Institution wie z.B. Selbstbestimmt Leben Innsbruck, die wie BIZEPS auch Mitglied des Klagsverbandes sind, rate ich keiner Einzelperson einen Prozess zu riskieren“, erklärt Gleichstellungsexperte Martin Ladstätter.
USA: Weitgehende Gleichstellung
„Das ist in den USA ganz anders. Das ADA (Behindertengleichstellungsgesetz in den USA, „The Americans with Disabilities Act–ADA of 1990″) regelt bundesweit einerseits ganz klar was unter Barrierefreiheit zu verstehen ist und bietet andererseits den Betroffenen eine Rechtssicherheit. Sowohl in der Infrastruktur als auch in der Bildung ist es in den USA gelungen, eine weitgehende Gleichstellung behinderter mit nichtbehinderten Menschen umzusetzen“, berichtet Bill Bruckner aus Berkeley, USA.
Konkret bedeutet dies: „Wir haben keine Sonderschulen, flächendeckende Benutzbarkeit von Gebäuden und Verkehrsmitteln aller Art für mobilitätseingeschränkte Personen, barrierefreie Informationstechnologien für sinnesbehinderten Menschen und vieles mehr. Alle Dienstleistungen im öffentlichen und privaten Bereich sind von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen nutzbar. Den wesentlichen Unterschied zwischen den USA und Österreich sehe ich in der Tradition von Bürgerrechten. In den USA ist die Chancengleichheit aller Menschen eine ‚kollektive Grundhaltung‘, in Österreich ist dieser Gedanke noch wenig ausgeprägt“, vermutet Bruckner und führt weiter aus: „Wird in den USA eine Ungleichbehandlung festgestellt, hat nicht nur die einzelne Person ein Anrecht auf deren Beseitigung, sie nützt auch allen anderen Menschen, die in einer ähnlichen Lebenssituation sind. Auf Grund der Haltung wird auch nicht hinterfragt, wie teuer die Beseitigung einer Diskriminierung ist und ich habe auch nie gehört, dass ein Unternehmen auf Grund der Auflagen ‚Pleite‘ gegangen wäre.“
Doch er erwähnt auch Schattenseiten: „Das Recht auf Chancengleichheit bedeutet auch, dass Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen die selben Chancen und die selben Risiken haben. So z.B. gibt es in den USA hunderttausende obdachlose Menschen und eine schlechte Gesundheitsversorgung für Millionen von US-Bürgern, darunter sind auch viele Menschen mit Behinderung. Das würdet ihr in Österreich wiederum nie zulassen.“
„Erst am Anfang stehen“
„Ziel der österreichischen Politik muss es sein, Menschen mit Behinderung sozial abzusichern und Grundrechte in Form von klaren gesetzlichen Maßnahmen zu sichern. Die Politik glaubt, dass mit dem Inkrafttreten des Bundesbehindertengleichstellungsgesetz die Gleichstellung behinderter Menschen erledigt ist, wir wissen, dass wir erst am Anfang stehen und noch viel zu tun ist“, hält Martin Ladstätter vom Verein BIZEPS fest.
„Am 1. Oktober wird ein neues Parlament gewählt: Wir fordern, dass die Gleichstellung behinderter Menschen ein Bestandteil der Regierungsverhandlungen sein muss“, stellt Gerhard Walter von Selbstbestimmt Leben Innsbruck abschließend fest.