Im Salzburger Menschenrechts-Bericht 2023 lassen wir unsere gewonnenen Gerichtsverfahren des letzten Jahres Revue passieren. Hier lesen Sie Artikel 2 von 5 aus dem Bericht der Plattform Menschenrechte Salzburg.
Kein Ausbildungsplatz wegen Kopftuch? Muslimische Frau wehrt sich erfolgreich gegen Diskriminierung
Muslimische Frauen erleben in Österreich Diskriminierung häufig an der Schnittstelle von Rassismus und Sexismus. So auch die Klägerin in einem Fall, den der Klagsverband vor Gericht brachte und 2023 gewann: Frau F. erhielt aufgrund ihres Kopftuchs einen Ausbildungsplatz zur Kindergruppenbetreuerin nicht. Das ist diskriminierend. Theresa Hammer und Paul Haller berichten.
Nachdem Frau F. schon Erfahrung als Kindergartenassistentin gesammelt hatte, wollte die damals 18-Jährige sich weiterqualifizieren und bei einem Wiener Anbieter die Ausbildung zur Kindergruppenbetreuerin absolvieren. „Ich habe mir eigentlich sehr gute Chancen ausgerechnet, da ich schon Berufserfahrung mitgebracht hatte und sogar ein Stellenangebot für die Zeit nach der Ausbildung vorweisen konnte. Auch den Deutschtest habe ich positiv absolviert, was ja klar ist, weil ich seit meinem vierten Lebensjahr in Österreich lebe und hier die Schule besucht habe“, erzählt Frau F. Bei der Bewerbung um den Ausbildungsplatz musste sie jedoch feststellen, dass offenbar ihr Hijab und nicht ihre fachliche Eignung im Mittelpunkt stand. Frau F. wurde in diskriminierender Weise immer wieder nach ihrem Kopftuch gefragt und gedrängt, es doch lieber abzulegen. Den Ausbildungsplatz bekam sie nicht. „Anstatt auf meine Fähigkeiten oder meine Erfahrung zu schauen, hat sich das Vorstellungsgespräch um mein Kopftuch gedreht. Das hat mich eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Ich hatte das Gefühl, mich für mein Aussehen und meine Herkunft rechtfertigen zu müssen und keine faire Chance zu haben. Ich wünsche mir, dass andere Frauen diese Erfahrung in Zukunft nicht mehr machen müssen“, erzählt Frau F. Nach Unterstützung durch die Gleichbehandlungsanwaltschaft und die Dokustelle Islamfeindlichkeit und Antimuslimischer Rassismus brachte der Klagsverband für sie eine Klage ein und gewann.
Kein Einzelfall…
Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen hat mit Urteil vom 21. Februar 2023 die Entscheidung des Bezirksgericht Innere Stadt Wien bestätigt und Frau F. somit den vollen geltend gemachten Schadenersatz in der Höhe von 2.000 Euro zugesprochen. Das Gericht stellte eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Religion nach dem Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) fest. Die Erfahrung von Frau F. ist kein Einzelfall, weiß Sandra Konstazky, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft: „74 Prozent der Anfragen, die wir zum Diskriminierungsgrund Religion betreuen, betreffen Personen muslimischen Glaubens. Auffällig ist, dass sich davon 90 Prozent auf Diskriminierungserfahrungen von muslimischen Frauen beziehen. Wir freuen uns deswegen besonders, dass in diesem Urteil der Zusammenhang zwischen Religion und Geschlecht so klar erkannt wird. Frauen dürfen nicht wegen eines Hijabs aus Berufsausbildungen ausgeschlossen werden.“
„Wir wissen aus der Beratung, dass viele unserer Klientinnen im Bewerbungsverfahren diskriminiert werden“, ergänzt dazu Ümmü Selime Türe, stellvertretende Geschäftsführerin der Dokustelle. Und weiter: „Muslimischen Frauen wird dadurch der berufliche und finanzielle Aufstieg verwehrt. Diskriminierung
am Arbeitsmarkt behindert die Selbstbestimmung von Frauen und führt dazu, dass sie ihren Platz in der Gesellschaft nicht finden.“
… doch Diskriminierungsrecht schützt
Das Urteil hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung. Wesentliche rechtliche Aussagen des Urteils sind:
- Das Gericht stellt klar, dass auch der Zugang zu einer Ausbildung vom Diskriminierungsschutz umfasst ist, nicht nur die Durchführung der Ausbildung selbst.
- Die wiederholte negative Bezugnahme auf das Kopftuch als eindeutig religiös konnotiertes Kleidungsstück, das nur von Frauen getragen wird, stellt eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Religion dar.
- Durch die wiederholte negative Bezugnahme auf ihr Kopftuch, die immer wiederkehrenden Fragen, ob sie es nicht ablegen oder zumindest zurückbinden könne, entstand bei Frau F. berechtigterweise der Eindruck, dass sie als muslimische Frau offenbar nicht dem erwünschten Frauenbild entspreche, nicht erwünscht sei und dass sie auf ihr Kopftuch reduziert werde. Dies ist ausschlaggebend für die Beurteilung, ob eine Diskriminierung vorliegt. Es handelte sich um kein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren um diesen Ausbildungsplatz, was den Vorgaben des Gleichbehandlungsgesetzes widerspricht.
2.000 Euro immaterieller Schadenersatz sind jedenfalls angemessen für die persönliche Beeinträchtigung während des diskriminierenden, nicht fairen Bewerbungsverfahrens und aufgrund der Auswirkungen auf die berufliche Zukunft der Klägerin: Sie musste rasch eine andere Ausbildung finden, in einer schlechter bezahlten Branche; ihre einzige Möglichkeit, jetzt ihrem eigentlichen Wunschberuf nahezukommen, ist als Kindergartenassistentin zu arbeiten. Auch diese Tätigkeit ist wesentlich schlechter bezahlt als der eigentlich von ihr angestrebte Beruf.
Intersektionale Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Religion
Frau F. hat als Muslima offenbar nicht in das gewünschte Frauenbild gepasst. Muslimische Frauen werden nicht nur am Arbeitsmarkt stark diskriminiert, sondern oft schon in der Ausbildung oder beim Berufseinstieg. Und das offensichtlich sogar in Branchen, die händeringend nach Mitarbeiter•innen suchen. Das Antidiskriminierungsrecht setzt hier Grenzen, die ein respektvolles Miteinander gewährleisten sollen.
„Viele Frauen trauen sich nicht sich zu wehren und meinen, es würde ohnehin nichts bringen. Allein deshalb war es mir wichtig, gegen die Diskriminierung vorzugehen. Ich freue mich sehr über das Urteil nach diesem jahrelangen Rechtsweg“, so Frau F.
von Theresa Hammer und Paul Haller
Hier lesen Sie den ganzen Menschenrechts-Bericht 2023 der Plattform Menschenrechte Salzburg.