Ehrenamtlich wollte die Wiener Chirurgin Mariam Vedadinejad Menschen in Krisenregionen medizinisch versorgen. Bei Ärzte ohne Grenzen hat sie sich deshalb für einen Einsatz beworben – und wurde abgelehnt, offiziell aufgrund „mangelnder Managementerfahrungen“. Vedadinejad ist lesbisch, was im Bewerbungsgespräch zur Sprache kam. Das Ö1-Mittagsjournal und die Zeit im Bild berichten über einen Fall von möglicher Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Als Rechtsexperte sprach der Vorsitzende des Klagsverbands, Christopher Frank, über Diskriminierung am Arbeitsplatz.
Stellungnahme von Ärzte ohne Grenzen
Im Bewerbungsgespräch wurde die Wiener Ärztin danach gefragt, wie ihre Familie damit umgehe, dass sie für Ärzte ohne Grenzen in einem Krisengebiet arbeiten wolle, erzählt Vedadinejad im Ö1-Interview: „Das ist ja auch ein wichtiger Aspekt. Das wird man ausführlich gefragt, weil ja auch der Hintergrund passen sollte, dass man die Unterstützung von der Familie hat. Und da habe ich ganz normal, wie jeder andere Mensch, über meine Beziehung gesprochen. Die aber, also aber – die de facto mit einer Frau ist.“ Ab diesem Zeitpunkt sei der Fokus des Gesprächs auf dem Privatleben der Chirurgin gelegen. Am Ende sei es ihr negativ ausgelegt worden, dass sie sich für Gleichstellung und Frauenrechte einsetze, berichtet Ö1-Journalist Jürgen Pettinger vom Gespräch mit Vedadinejad.
Auf Anfrage von Ö1 betont Ärzte ohne Grenzen in einer schriftlichen Stellungnahme, die dem Klagsverband vorliegt: „Diskriminierung hat bei Ärzte ohne Grenzen keinen Platz.“ Auf den Fall der Wiener Chirurgin wird in darin kein konkreter Bezug genommen. ORF berichtet davon, dass in der schriftlichen Stellungnahme mögliche Fehler eingeräumt werden und verweist ebenso auf Passagen aus dieser: „Wir sind uns dessen bewusst, dass wir alle – auch als Organisation – immer kontinuierlich lernen und uns weiterentwickeln müssen. Oftmals liegen Herausforderungen in kleinen Details, die Menschen, die einer Mehrheit angehören, nicht immer automatisch im Blick haben. Möglichen blinden Flecken möchten wir daher proaktiv begegnen.“
Kein Einzelfall
Gegen Ärzte ohne Grenzen möchte die Wiener Chirurgin nicht weiter vorgehen. Vielmehr sei es ihr ein Anliegen gewesen, auf die auch heute noch bestehende Diskriminierung hinzuweisen. In einer groß angelegten Studie der EU-Grundrechteagentur gab jede 5. befragte Person an innerhalb der letzten 12 Monate aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität diskriminiert worden zu sein. Besonders stark sind trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Personen von Diskriminierung betroffen.
Unbewusst würden Personalverantwortliche oft nach Homogenität suchen und Diversität eher ablehnen, sagt Christopher Frank, Jurist und Klagsverband-Vorsitzender, im Interview für das Ö1-Mittagsjournal und die ORF-Nachrichtensendung Zeit im Bild: „Wenn jemand fragt: Was hast du letztes Wochenende unternommen? Oder: Was hast du in den Ferien gemacht? Und wenn dann eine weibliche Mitarbeiterin sagt, ich war mit meiner Lebensgefährtin auf Urlaub, dann ist das halt nicht nur die Information über den Urlaub, sondern gleichzeitig impliziert halt auch eine Aussage über die eigene sexuelle Orientierung.“ Eine soziale Information werde dann plötzlich sexuell konnotiert wahrgenommen.
Der Artikel wurde 12.02.2024 um 15:59 um die Stellungnahme von Ärzte ohne Grenzen ergänzt.
Medienberichte
Folgende Medien haben berichtet:
Ö1-Mittagsjournal, 10.02.2024, Chirurgin erhebt schwere Vorwürfe gegen Ärzte ohne Grenzen
ORF, Zeit im Bild 1, 10.02.2024, Diskriminierung bei „Ärzte ohne Grenzen“?
ORF.at, 10.02.2024, Chirurgin kritisiert Ärzte ohne Grenzen