Der Klagsverband hat diskutiert – eine Nachlese.
Am 2. Juni 2022 haben Doris Pettighofer von der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende, Mümtaz Karakurt von migrare und Volker Frey vom Klagsverband über den diskriminierungsfreien Zugang zu leistbarem Wohnen diskutiert.
Moderation der Veranstaltung: Daniela Almer
ÖGS-Dolmetscher*innen: Elke Schaumberger und Patricia Brück, DolmetschServicePlus
Die Aufzeichnung der Veranstaltung gibt’s auf YouTube und hier eine kurze Zusammenfassung:
„Familie ist nicht immer Vater-Mutter-Kind.“
Doris Pettighofer betonte in ihrem Statement, dass die Vielfalt von Familien anerkannt werden müsse. Neben der klassischen Vater-Mutter-Kinder-Familie und der alleinerziehenden Mutter mit einem Vater, der Unterhalt zahlt, gebe es viele Formen des Zusammenlebens von getrennten Eltern und Kindern. Um diesem Umstand mehr Anerkennung zukommen zu lassen und die verschiedenen Bedürfnisse aufzuzeigen, brauche es mehr Daten und mehr Forschung.
Ein weiteres wichtiges Thema sind für Doris Pettighofer die hohen Wohnkosten. Der soziale Wohnbau reagiere zu wenig auf die Situation von Alleinerziehenden, die Armutsgefährdung sei hoch. „Das ist eine große Herausforderung“, so Pettighofer, „Die Zahl der Alleinerziehenden, die von Armut gefährdet sind, steigt und die Maßnahmen der vergangenen Jahre haben nicht gereicht, um das abzufedern.“
„Soziale und juristische Wege gehen.“
Mümtaz Karakurt hat über die verschiedenen Formen des Ausschlusses von leistbarem Wohnen gesprochen, die in Oberösterreich an die österreichische Staatsbürgerschaft gekoppelt sind. Bei migrare waren sehr viele Klient*innen von dieser Form der Diskriminierung betroffen. Um neben sozialen Lösungen auch juristische Wege zu gehen, hat migrare deshalb gemeinsam mit dem Klagsverband bereits 2017 erfolgreich ein Verfahren wegen Diskriminierung bei der oberösterreichischen Wohnbeihilfe geführt.
Trotzdem hat die oberösterreichische Landesregierung 2018 eine neue Hürde in Form eines Deutschzertifikats eingeführt. Auch gegen diese Form der Diskriminierung, die vor allem Personen betrifft, die aus Gesundheits- oder Altersgründen nicht in der Lage sind eine offizielle Deutschprüfung abzulegen, haben migrare und der Klagsverband ein weiteres Verfahren geführt, dass es bis zu einer Vorlage von Rechtsfragen beim EuGH geschafft hat. Das Landesgericht Linz hat allerdings letztendlich entschieden, dass es sich nicht um eine Diskriminierung nach dem oberösterreichischen Antidiskriminierungsgesetz handelt.
„Menschenrechtliches Versagen“
Volker Frey ortet ein zentrales menschenrechtliches Problem: „Es gibt keinen österreichweiten Standard, der festlegt worauf Menschen beim Wohnen Anspruch haben sollten und zwar alle Menschen, egal in welcher Lebensform sie sich befinden“, so sein Statement und er fährt fort: „Das soziale Menschenrecht auf Wohnen zeigt exemplarisch, wie schwer sich Österreich generell tut, Menschenrechte umzusetzen.“
Neben dem menschenrechtlichen Versagen kommt auf einer weiteren Ebene Diskriminierung beim Zugang zum Wohnraum dazu. An diesem Punkt setze die Arbeit des Klagsverbands an. Als Schwerpunkte hätten sich in den vergangenen Jahren Barrierefreiheit und Diskriminierung aufgrund der Staatsbürgerschaft herauskristallisiert.
Lösungsansätze
In einer Abschlussrunde waren die Diskussionsteilnehmer*innen Doris Pettighofer, Mümtaz Karakurt und Volker Frey aufgerufen, mögliche Lösungsansätze und die dringendsten Forderungen an die Politik zu formulieren:
Doris Pettighofer: „Österreich muss einen Weg finden um anzuerkennen, dass Kinder in zwei Haushalten aufwachsen und das heißt, sie verursachen auch Kosten in zwei Haushalten. Helfen könnte hier zB die Förderung von gemeinschaftlichen Wohnkonzepten. Und ich erlaube mir noch ein Gedankenexperiment: Statt leistbares Wohnen könnten wir es angemessens Wohnen nennen. Es muss sich nicht immer alles auf das Einkommen beziehen.“
Mümtaz Karakurt: „Die Politik darf die Menschen nicht nur in Schubladen stecken: Du hast eine Behinderung und du nicht usw. Es muss mehr in den Mittelpunkt rücken, dass zielgruppenübergreifende Mehrfachzugehörigkeit zu Diskriminierung führt. Ich wünsche mir eine Politik, die ganz klar sagt, dass Chancengleichheit für alle bestehen muss.“
Volker Frey: „Wir brauchen dringend einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch im Gleichbehandlungsgesetz (GlBG), den Antidiskriminierungsgesetzen der Länder und im Behindertengleichstellungsrecht. Alle Fälle, die wir beim Klagsverband betreuen, spiegeln strukturelle Probleme wieder. Deshalb fordern wir einen neuen nationalen Aktionsplan (NAP) Menschenrechte.“