117 Anfragen hat die Leiterin der Rechtsdurchsetzung beim Klagsverband im Jahr 2021 beantwortet. Diese Anfragen sind sehr unterschiedlich: Es kann sich um eine kurze Rechtsauskunft oder rechtliche Einschätzung für einen Mitgliedsverein handeln bis zu umfangreichen Sachverhalten, die geprüft, beurteilt und für mögliche Gerichtsverfahren vorbereitet werden müssen.
Im Jahr 2021 haben uns wieder viele Anfragen erreicht, die direkt oder indirekt mit der Pandemie zu tun haben. Besonders häufig wurden Fragen zur Impfpflicht gestellt.
Von den zahlreichen Diskriminierungsfällen, die unsere Mitgliedsvereine an die Rechtsdurchsetzung herantragen, werden meistens nur einige zu Gerichtsverfahren. Nicht jeder Fall eignet sich dafür, nicht immer ist die Person, die eine Diskriminierung erlebt hat, bereit oder in der Lage ein Gerichtsverfahren auf sich zu nehmen und auch die Kosten des Verfahrens spielen eine Rolle.
Der Klagsverband führt in erster Linie Musterverfahren. Vor einem Verfahren muss eine Reihe von Fragen beantwortet werden: Welches Recht kommt zur Anwendung? Wie hoch ist das Prozesskostenrisiko? Was erwartet sich die betroffene Person von einem Gerichtsverfahren? Eignet sich eine richterliche Entscheidung über den Einzelfall hinaus für die Sensibilisierungs- und Aufklärungsarbeit des Klagsverbands und die Beratungspraxis seiner Mitgliedsorganisationen? Diese Fragen werden von der Juristin des Klagsverbands geprüft. Sie spricht auch eine Empfehlung aus, ob es sinnvoll ist, ein Gerichtsverfahren zu führen oder nicht. Die letzte Entscheidung hat ein internes Gremium, der „Klagsausschuss“.
Schlichtungen
Die Verbandsschlichtung für bedarfsgerechte Persönliche Assistenz an Bundesschulen wurde 2021 mit einem weiteren Termin fortgeführt.
Abgeschlossenes Verfahren
Türkischer Staatsbürger kann formale Anforderungen für den Nachweis der Deutschkenntnisse nicht erfüllen (unser Verfahren mit migrare): Dieses Gerichtsverfahren beschäftigt sich mit der Oberösterreichischen Wohnbeihilfe. Hier geht’s zum Verfahren.
59-jährige erhält aufgrund ihres Alters keine Fördermaßnahme des AMS (unser Verfahren mit DIE JURISTINNEN): Leider wurde unsere Klage abgewiesen. Die Regelung des AMS, Frauen aufgrund des geschlechtsspezifischen gesetzlichen Pensionsantrittsalter früher als Männern eine Umschulung verweigern zu können, war zwar unstrittig. Das Gericht stellte aber auch fest, dass das AMS die Fördermaßnahme im konkreten Fall nicht als sinnvoll beurteilt hatte. Der Klagsverband bedauert, dass es aufgrund dieses Urteil nun keine rechtliche Entscheidung zu dieser – aus Sicht des Klagsverbands – klar diskriminierenden Regelung des AMS gibt.
Neue Klagen
Verbandsklage
Die Verbandsklage zubedarfsgerechter Persönlicher Assistenz an Bundesschulen wird hier näher erläutert.
Diskriminierende Behandlung durch Zahnärztin (unser Verfahren mit der Aids Hilfe Wien): Mit diesem Verfahren im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen wollen wir auf ein Problem aufmerksam machen, dass viele Patient*innen mit einer HIV-Infektion kennen. So wurde auch die Klägerin von ihrer Zahnärztin, nachdem diese von ihrer HIV-Infektion erfahren hatte, zunächst abgelehnt und ihr schließlich – nach langer Diskussion, zum Teil vor anderen Patient*innen – eine Behandlung erst am Ende des Tages angeboten. Die von der Ärztin unter anderem genannten „hygienischen Gründe“ zeugen von Vorurteilen betreffend HIV-positiven Menschen und Wissenslücken. Die unsachliche Ausgrenzung und Stigmatisierung stellt aus Sicht des Klagsverbands eine Diskriminierung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz dar. Denn hygienische Standards müssen für alle Patient*innen generell so gestaltet sein, dass sie auch vor anderen, zum Teil noch infektiöseren, Krankheiten schützen.
Diskriminierung einer Bewerber*in mit Kopftuch (unser Verfahren mit der Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus): Bei ihrer Bewerbung für die Ausbildung zur Kindergruppenbetreuerin wurde eine Bewerberin mehrmals auf ihr Kopftuch angesprochen und verunsichert. Nach dem Gespräch, das sie als sehr belastend und verunsichernd beschreibt, erhielt sie eine Absage. Ob es sich hier um eine Diskriminierung aufgrund der Religion der Bewerberinhandelt, wird das Gericht klären müssen.
Laufende Verfahren
Barrierefreie Zimmer nur gegen Aufpreis (unser Verfahren mit knack:punkt): Dieses Klage haben wir bereits 2020 eingebracht. Die Klägerin ist Rollstuhlfahrerin und wollte ein Zimmer in einem Haus einer größeren Hotelkette buchen. Die von ihr gewünschte Zimmerkategorie ist jedoch nicht barrierefrei, dafür müsste sie einen Aufpreis für eine höhere Zimmerkategorie zahlen. Diese Form der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, die auf barrierefreie Zimmer angewiesen sind, ist weit verbreitet. Zimmer können nicht frei gewählt werden, bzw. muss für Barrierefreiheit ein Aufpreis gezahlt werden.
Fälle nach Diskriminierungsgründen
Etwas mehr als die Hälfte der Verfahren, die vom Klagsverband betreut werden, betreffen den Diskriminierungsgrund „Ethnische Zugehörigkeit“, rund ein Drittel der Klagen fallen in den Bereich „Behinderung“. Die restlichen Diskriminierungsgründe (Religion, Geschlecht, sexuelle Orientierung und Alter) bewegen sich jeweils in einem Bereich unter fünf Prozent, zum Diskriminierungsgrund Weltanschauung wurde noch kein Verfahren geführt.
Der Klagsverband unterstützt in erster Linie Verfahren wegen Diskriminierungen beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. So erklärt sich auch die Aufteilung nach Diskriminierungsgründen: Der gesetzliche Diskriminierungsschutz ist hier nur für die Merkmale Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit gegeben, auf diese Lücke im Gleichbehandlungsrecht wird vom Klagsverband seit Langem aufmerksam gemacht („Levelling-Up“).
In den Bereichen „Menschen mit Behinderungen“ und „ethnische Zugehörigkeit“ hat der Klagsverband aber auch die meisten und die aktivsten Mitgliedsvereine.