Für ihre Studie hat Doris Weichselbaumer von der Universität Linz drei Bewerberinnen erfunden: Sandra Bauer bewirbt sich bei denselben Unternehmen in Deutschland wie Meryem Öztürk. Auch ihre Qualifikationen sind dieselben. Der maßgebliche Unterschied bei den Bewerbungen liegt am Namen und ist bei der dritten Person auch auf dem Bewerbungsfoto deutlich sichtbar: Sandra Bauer hat einen deutschen Namen, Meryem Öztürk ist dem Namen nach türkischer Herkunft und die dritte Bewerberin, die ebenfalls Meryem Öztürk heißt, trägt auf dem Bewerbungsfoto ein Kopftuch.
Namen und Kopftuch als Hindernisse
Was die drei erfundenen Frauen erleben, nachdem sie ihre Bewerbungen abgeschickt haben, hat Doris Weichselbaumer 2016 in einer Studie veröffentlicht: Eine Bewerberin mit Kopftuch muss sich vier Mal so häufig bewerben, um zu einem Gespräch eingeladen zu werden, wie eine Arbeitssuchende ohne Kopftuch. Die Diskriminierung aufgrund der Herkunft findet aber nicht nur im Niedriglohnbereich statt, im Gegenteil: Je höher die Qualifikation der Bewerberin war, desto häufiger waren Diskriminierungserfahrungen – also Ablehnungen aufgrund des Namens oder des Kopftuches. Auch das hat Ökonomin Weichselbaumer herausgefunden.
Hier können Sie die Studie von Doris Weichselbaumer auf Englisch herunterladen.
Musliminnen und Intersektionalität
Der Klagsverband kann diese Erkenntnisse bestätigen: Rassistische Diskriminierung am Arbeitsmarkt kennt viele Formen und Spielarten. Sie beginnt bei der Bewerbung und betrifft auch Männer, denen aufgrund ihres Namens oder ihres Aussehens eine nicht-österreichische Herkunft zugeschrieben wird. Bei Frauen mit Kopftuch ist die Diskriminierung intersektionell, also auf mehreren Ebenen miteinander verzahnt: Viele Musliminnen, die ihre Religionszugehörigkeit mit einer Kopfbedeckung sichtbar machen, sind am Arbeitsmarkt zusätzlich von religiöser Diskriminierung betroffen.
Der Klagsverband hat in den vergangenen Jahren mehrere Musliminnen auf dem Rechtsweg unterstützt, die wegen ihres Kopftuchs bei der Bewerbung diskriminiert wurden. Allerdings finden die meisten dieser Fälle den Weg zum Klagsverband erst dann, wenn schon ein Kontakt zwischen Bewerberin und Unternehmen stattgefunden hat. Was alle Verfahren verbindet, ist der Umstand, dass die Bewerberinnen aufgefordert wurden, das Kopftuch abzulegen.
Beispiel 1: Ärztin mit Kopftuch
Bei höher qualifizierten Bewerberinnen verstärkt sich das Risiko noch, benachteiligt zu werden. Dieses Studienergebnis von Doris Weichselbaumer trifft auch auf eine muslimische Ärztin zu, die sich 2008 an den Klagsverband gewandt hat. Die österreichische Staatsbürgerin hat sich als Ärztin in einem Kurzentrum im Burgenland beworben.
Frau Z. war bereits als geeignete Bewerberin ausgewählt worden, der Vorstandsdirektor wollte sie aber nur unter der Bedingung einstellen, dass sie während der Arbeit auf das Kopftuch verzichtet. Als sie diesem Wunsch nicht nachgekommen ist, wurde die Stelle neu ausgeschrieben. Der Klagsverband hat Frau Z. unterstützt und eine Klage eingebracht. Um eine Verurteilung zu vermeiden, zahlte das Kurbad 4.500 Euro Schadenersatz.
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Beispiel 2: Ordinationshilfe mit Kopftuch
2013 hat der Klagsverband eine Muslima unterstützt, die aufgrund ihres Kopftuchs diskriminiert wurde. Auch hier ist schon Geld geflossen, bevor die Verhandlung begonnen wurde.
Die Bewerberin, eine Salzburgerin mit türkischen Eltern, hat sich bei einer Ärztin in Wien als Ordinationshilfe beworben. Als sie mit Kopftuch zum Bewerbungsgespräch erscheint, wendet sich das Blatt: Die Ärztin will keine Ordinationshilfe mit Kopftuch, die Bewerbungsunterlagen spielen keine Rolle mehr. Die Salzburgerin hat mit Unterstützung des Klagsverbands geklagt, noch bevor das Gericht die Verhandlung begonnen hat, hat die Ärztin das Verfahren beendet, indem sie der Klägerin 500 Euro gezahlt hat.
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Beispiel 3: Service-Mitarbeiterin mit Kopftuch
Der jüngste Fall hat sich erst vergangenes Jahr zugetragen: Eine Wiener Studentin hat sich für einen Teilzeit-Job in einer Café-Konditorei beworben. Auf ihrem Bewerbungsfoto war sie – so wie die erfundene Bewerberin in Doris Weichselbaumers Studie – mit Kopftuch zu sehen. Das allein war für das Unternehmen noch kein Grund, die Bewerberin nicht zu berücksichtigen. In einem Telefonat hat ihr die Personalverantwortliche allerdings zu verstehen gegeben, dass sie das Kopftuch bei der Arbeit nicht tragen könne. Auch in diesem Fall hat die Firma den Schadenersatz in der Höhe von 2500 Euro bezahlt, noch bevor das Verfahren eröffnet wurde.
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So unterschiedlich die hier geschilderten Sachverhalte auch sein mögen, eines haben alle Klägerinnen gemeinsam: Sie wollen Gerechtigkeit und nicht auf ein Stück Stoff reduziert werden. Eine der Klägerinnen hat es so formuliert: „Alles, was ich bin, kann und weiß, hat keine Rolle gespielt. Woher nimmt sich jemand das Recht, über meine Fähigkeiten und Qualifikationen aufgrund eines Kleidungsstückes zu urteilen?“
Studie zum österreichischen Arbeitsmarkt
Andreas Schadauer und Judith Wiesinger – beide wissenschaftliche Mitarbeiter_innen von ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit – haben 2014 im Rahmen des ZARA-Projekts Get together without barriers Interviews mit Personen geführt, die gerade oder kurz davor auf Arbeitssuche waren. Eine der Interviewpartnerinnen wurde aufgrund ihres Kopftuchs beim telefonisch vereinbarten Vorstellungsgespräch abgelehnt.
Besonderes Augenmerk haben die Studienautor_innen auf die Fragen gelegt, wie sich die erlebten rassistischen Diskriminierung auf die Motivation bei der Arbeitssuche und auf weitere Chancen am Arbeitsmarkt ausgewirkt haben. Kurz zusammengefasst lässt sich sagen: Viele Bewerber_innen erleben ihre Herkunft als Handicap, lassen sich demotivieren oder ändern ihre Strategien. Ein Interviewpartner erzählt, er habe sich nur noch bei internationalen Firmen beworben in der Hoffnung, dort herrsche gegenüber seiner Herkunft mehr Toleranz. (da)
Hier erfahren Sie mehr zum Projekt Get together without barriers.